Nr. 2/23

02/23

 

Stellungnahme zur Rechtswegzuweisung der neuen Kindergrundsicherung

Die Bundesregierung beabsichtigt, bisherige finanzielle Förderungen für Kinder und Jugendliche, wie das Kindergeld, die Leistungen für Kinder und Jugendliche nach dem SGB II/XII, dem Asylbewerberleistungsgesetz, den Kinderzuschlag und Teile des Bildungs- und Teilhabepaketes zu einer Leistung zu bündeln. Diese soll aus zwei Bestandteilen bestehen, nämlich einem für alle Kinder und Jugendlichen zu zahlenden Garantiebetrag sowie ergänzend einem einkommensabhängigen Zusatzbetrag. Anderer Sozialleistungen, wie Unterhaltsvorschuss, Wohngeld und Leistungen nach dem BAföG sollen beibehalten und lediglich die Schnittstellen hierzu vereinfacht werden.

Die Kindergrundsicherung tritt an die Stelle von Leistungen, für die die zugehörigen Streitigkeiten bisher größtenteils den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit zugewiesen sind, teilweise den Finanzgerichten (§ 51 Abs. 1 Nr. 4a und Nr. 6a SGG, § 15 BKGG). Der in den letzten Tagen bekannt gewordenen Entwurf der „Eckpunkte zur Ausgestaltung der Kindergrundsicherung“ (Stand: 18. Januar 2023) äußert sich nicht dazu, welche Gerichtsbarkeit bei gerichtlichen Streitigkeiten zuständig sein soll. Da mit dem Gesetzgebungsverfahren nach der Sommerpause 2023 begonnen werden soll, steht die Entscheidung dieser Frage in absehbarer Zeit an.

Der BDS spricht sich dafür aus, den Rechtsweg insgesamt der Sozialgerichtsbarkeit zuzuweisen.

Zur Gewährleistung eines effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes ist für die Zuweisung des Rechtswegs zu einer bestimmten Gerichtsbarkeit maßgeblich, dass vergleichbare Materien dieser Gerichtsbarkeit bereits zugewiesen sind, welches Prozessrecht dem Kreis der Beteiligten und den zu entscheidenden materiell-rechtlichen Fragen am besten gerecht wird und wie der Zugang der Beteiligten zum gerichtlichen Rechtsschutz möglichst sachgerecht ausgestaltet werden kann. Nicht entscheidend ist demgegenüber, welche kurzfristigen Auswirkungen die Zuweisung auf die Belastungen der betroffenen Gerichtsbarkeiten haben könnte; diese unterliegt ohnehin immer wieder Änderungen und Schwankungen.

  • Das erklärte Ziel des Gesetzes, die bisherigen unterschiedlichen Zuwendungen für Kinder und Jugendliche durch eine einheitliche Leistung zu ersetzen, spricht für die einheitliche Zuweisung der entsprechenden Streitigkeiten an eine Gerichtsbarkeit.

  • Nach dem Entwurf der Eckpunkte handelt es sich bei der Kindergrundsicherung zweifellos um eine Sozialleistung. Dies gilt auch für den Garantiebetrag, der künftig in das Sozialrecht und somit in die Zuständigkeit des BMFSFJ überführt werden soll.

  • Der einkommensabhängige Zusatzbetrag setzt einen entsprechenden Bedarf voraus, wobei auch das Einkommen der Eltern berücksichtigt wird. Inhaltlich ist dieser mit den Regelungen des SGB II verknüpft, etwa bei der Einkommensermittlung oder bei der Berücksichtigung von Mehrbedarfen. In diesem Bereich und weniger bei dem (das bisherige steuerrechtliche Kindergeld ersetzenden) Garantiebetrag dürften die meisten gerichtlichen Auseinandersetzungen anfallen. Der weit höhere Anteil der bisherigen Streitigkeiten in diesem Lebensbereich ist auf die Sozialgerichtsbarkeit und nicht die Finanzgerichtsbarkeit entfallen. Die Sozialgerichtsbarkeit hat große Erfahrung bei den entsprechenden Rechtsfragen nach dem SGB II, dem SGB XII, dem AsylbLG und § 5a BKGG, aber auch mit verwandten Streitigkeiten beim Elterngeld.

  • Das besonders beteiligtenfreundlich ausgestaltete Prozessrecht des Sozialgerichtsgesetzes eignet sich für Streitigkeiten um Sozialleistungen für Kinder und Jugendliche am besten; das Prozessrecht der Finanzgerichte ist hingegen stärker auf die Eingriffsverwaltung zugeschnitten.

  • Nicht selten dürften innerhalb einer Familie parallel liegende Rechtsfragen auftreten, etwa wenn sowohl die Eltern Bürgergeld nach dem SGB II, als auch die Kinder und Jugendlichen Kindergrundsicherung beziehen, es jedoch für beide Leistungen auf die Höhe des Einkommens der Eltern ankommt. Hier dürfte kaum sachgerecht und den Familien nicht zumutbar sein, parallele Rechtsstreite vor unterschiedlichen Gerichtsbarkeiten mit der Gefahr differierender Entscheidungen in der Sache führen zu müssen.

Alle maßgeblichen Punkte sprechen daher für die Zuweisung der Streitigkeiten an die Sozialgerichtsbarkeit.

 

Dr. Steffen Roller

Direktor des Sozialgerichts

Vorsitzender BDS

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