Nr. 01/13

Stellungnahme des BDS zum Gesetzentwurf der Bundesregierung eines Gesetzes zur Neuorganisation der bundes- unmittelbaren Unfallkassen, zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und zur Änderung anderer Gesetze (BUK- Neuorganisationsgesetz – BUK-OG), BT-Drucks. 17/12297

Vorbemerkung

Der BDS äußert sich zu verfahrensrechtlichen und prozessrechtlichen Fragen im Zuständigkeitsbereich der Sozialgerichtsbarkeit. Er nimmt zu Fragen des materiellen Sozialrechts und zu sozialpolitischen Fragen nur insoweit Stellung, als diese eng mit verfahrensrechtlichen und prozessrechtlichen Fragen verknüpft sind. Dies ist unserer Meinung nach hier nur bei Artikel 7 (Änderung des Sozialgerichtsgesetzes) des Gesetzentwurfs der Fall. Deswegen beschränkt sich die Stellungnahme hierauf.

Der Gesetzentwurf greift einige der Vorschläge des zur 83. Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister (JuMiKo) vorgelegten Berichts über die Ergebnisse der Fortsetzung der Beratungen der Landesjustizverwaltungen der Länder Berlin, Baden-Württemberg, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Rhein- land-Pfalz, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen vom 22. Mai 2012 auf. Zu einigen der Vorschläge des Berichts, die nicht übernommen worden sind, hat sich der BDS in der Vergangenheit (Stellungnahme vom 20. Juni 2012, www.bds.de) kritisch geäußert. Es wird hier davon ausgegangen, dass diese im Gesetzentwurf nicht enthaltenen Vorschläge auch im weiteren parlamentarischen Verfahren nicht weiterverfolgt werden. Ansonsten würde die bisherige kritische Haltung wiederholt und auf die genannte Stellungnahme verwiesen werden.

I. Harmonisierung der Listen ehrenamtlicher Richter und Erweiterung des Kreises der Arbeitgeber (§§ 12, 14, 16, 208 SGG)

Der Vorschlag zur Harmonisierung der Listen ehrenamtlicher Richter wird nachhaltig begrüßt. Es besteht ein deutlich erkennbares Bedürfnis der gerichtlichen Praxis, die Differenzierung der Vorschlagslisten für die ehrenamtlichen Richter zu vereinfachen und hierbei insbesondere die Unterscheidung zwischen Versicherten und Arbeitnehmern aufzugeben. Nicht selten sind nach den Geschäftsverteilungsplänen der Gerichte Kammern/Senate bzw. (bei der Zuordnung mehrerer Kammern zu einem Berufsrichter) Richter für Rechtsgebiete zuständig, in denen unterschiedliche Listen ehrenamtlicher Richter zugeordnet sind. Hierbei wird die Unterscheidung zwischen ehrenamtlichen Richter aus dem Kreis der Versicherten (Sozialversicherung) und solchen aus dem Kreis der Arbeitnehmer (Grundsicherung für Arbeitssuchende, Streitigkeiten aufgrund § 6a des Bundeskindergeldgesetzes, Arbeitsförderung) hinsichtlich der in das gerichtliche Verfahren einzubringenden Sachkunde als künstlich empfunden. Die genannte Unterscheidung führt dazu, dass für die genannten Rechtsgebiete jeweils eigenständige Sitzungen mit einer getrennten Besetzung der Richterbank anberaumt werden müssen. Wenn für eines der genannten Rechtsgebiete in einem überschaubaren Zeitraum bei einer Kammer/einem Senat bzw. einem Berufsrichter eines Sozialgerichts nicht ausreichend Verfahren anfallen, die zur mündlichen Verhandlung zu terminieren sind, müssen entweder längere Wartezeiten in Kauf genommen werden oder Sitzungen mit nur sehr wenigen Verfahren terminiert werden. Die vorgeschlagene Gesetzesänderung beseitigt diese Erschwernisse.

Die Erweiterung des Kreises der Arbeitgeber auf Angestellte, die regelmäßig für den Arbeitgeber in Personal Angelegenheiten tätig werden, ist sachgerecht. In der gerichtlichen Praxis haben sich wiederholt Schwierigkeiten gezeigt, ausreichend Personen aus dem Kreis der Arbeitgeber für die Tätigkeit als ehrenamtliche Richter zu gewinnen. Die Gruppe der Angestellten, die nach dem Gesetzesvorschlag einbezogen werden soll, verfügt über ausreichende Fachkenntnisse und Erfahrungen, die denjenigen eines Arbeitgebers entsprechen. Sie bieten daher die notwendige Sachkunde für die Tätigkeit als ehrenamtlicher Richter aus dem Kreis der Arbeitgeber.

 

II. Ausschluss der isolierten Anfechtung behördlicher Verfahrenshandlungen (§ 56a SGG-E)

Dem Vorschlag, mit § 56a SGG eine dem § 44a VwGO entsprechende Regelung einzuführen, wird nicht entgegengetreten. Schon bisher wurde die Vorschrift des § 44a VwGO in einigen Bereichen als Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgedankens entsprechend angewandt. Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Anwendung des § 44a VwGO im sozialgerichtlichen Verfahren ist jedoch uneinheitlich (vgl. zuletzt BSG, Urteil vom 28. Januar 2009, B 6 KA 11/08 R, SozR 4-1500 § 77 Nr. 2). Auch wenn dies in der gerichtlichen Praxis bisher zu keinen größeren Problemen geführt hat, wäre eine gesetzliche Klarstellung hilfreich. Dass unselbstständige behördliche Verfahrenshandlungen nur gemeinsam mit der Sachentscheidung angefochten werden können, dient der Vereinfachung (vgl. § 9 S. 1 SGB X) und Beschleunigung des Verwaltungsverfahrens. Betroffen sind etwa Entscheidungen über die Hinzuziehung als Beteiligter zum Verwaltungsverfahren (§ 12 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 SGB X), über die Zurückweisung als Bevollmächtigter oder Beistand (§ 13 Abs. 6 SGB X) oder über den Ausschluss von Behördenmitarbeitern wegen Interessenkollisionen (§§ 16, 17 SGB X). Wesentliche Nachteile für die Betroffenen sind nicht erkennbar, da der Rechtschutz nicht verkürzt, sondern nur geordnet wird. Besonderheiten des Sozialrechts, die einer Angleichung an den Rechtsstand in der VwGO entgegenstünden, sind nicht erkennbar.

 

III. Klarstellung der örtlichen Zuständigkeiten im Bereich des Leistungserbringungsrechts (§ 57a Abs. 3, 4 SGG-E)

Gegen den Änderungsvorschlag werden keine Einwendungen erhoben. Er nimmt die uneinheitliche Rechtsprechung in einen den Bundesländern zum Anwendungsbereich des § 57a Abs. 3 und 4 SGG zum Anlass, die Zuständigkeitsfrage klarzustellen.

 

IV. Klarstellung der Unanfechtbarkeit der Entscheidung über die Ablehnung von Gerichtspersonen (§ 60 Abs. 1 SGG-E)

Die Entscheidung über den Ablehnungsantrag obliegt seit der Änderung des § 60 SGG durch das Vierte Gesetz zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 22. Dezember 2011 (BGBl. I S. 3057) mit Wirkung zum 1. Januar 2012 nicht mehr dem Landessozialgericht, sondern dem Gericht, dem der Abgelehnte angehört, ohne dessen Mitwirkung (§ 45 Abs. 1 ZPO). Die ganz große Mehrheit der sozialgerichtlichen Rechtsprechung sieht § 172 Abs. 2 SGG als speziellere Norm an, die § 46 Abs. 2 ZPO vorgeht. Deswegen und weil im SGG ein Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde nicht vorgesehen ist, werden Beschlüsse über die Ablehnung von Gerichtspersonen als unanfechtbar angesehen (vgl. aus der Rechtsprechung nur LSG Baden- Württemberg, Beschluss vom 20. März 2012, L 7 SF 1176/12 AB, juris; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 2. Juli 2012, L 13 AS 2584/12, NZS 2012, 680). Da vereinzelt (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 7. Mai 2012, L 11 SO 108/12 B, NZS 2012, 716 m. krit. Anmerkung Wedel) auch die gegenteilige Ansicht vertreten wird, bedarf es einer Klarstellung durch den Gesetzgeber. Die Unanfechtbarkeit entspricht der klaren Intentionen des Änderungsgesetzes vom 22.Dezember 2011 (vgl. die Begründung zum Gesetzentwurf, BR- Drs. 315/11, S. 40, BT-Drs. 17/6764, S. 27). Da bei Ablehnungsanträgen gegen Gerichtspersonen der vorhandene Instanzenzug nicht selten ausgeschöpft wird, würde ansonsten das Verfahren gegenüber der früheren Rechtslage (unmittelbare Entscheidung durch die Berufungsinstanz) verlängert und verkompliziert werden. Das liegt auch nicht im Interesse der Beteiligten an einer zügigen Entscheidung des Rechtsstreits.

 

V. Ausschluss der Notwendigkeit, Entscheidungen des einseitigen Rechtsschutzes innerhalb eines Monats zu vollstrecken (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGB- E)

Der Regelungsvorschlag nimmt die Vorschrift des § 929 Abs. 2 ZPO von der Verweisung aus. Die genannte Vorschrift führte für den der gerichtlichen Praxis wiederholt zu Problemen, wenn Beteiligte, die im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes einen für sie günstigen Beschluss erstritten hatten, diesen im Vertrauen darauf, die Behörde werde sich rechtstreu verhalten, nicht vollstreckt haben. Die auf zivilprozessuale Auseinandersetzungen, an denen öffentlich-rechtliche Träger regelmäßig nicht teilnehmen, ausgerichtete Vorschrift passt auf das sozialgerichtliche Verfahren nicht. Ob sie hier überhaupt zur Anwendung gelangt, ist in der Rechtsprechung umstritten. Die vorgeschlagene Klarstellung beendete diese Unsicherheit im Sinne einer sachgerechten Regelung.

 

VI. Schriftliche Annahme eines gerichtlichen Vergleichsvorschlags (§ 101 Abs. 1 S. 2 SGG-E)

Die vorgeschlagene Ergänzung des § 101 SGG entspricht dem Vorbild des § 106 Satz 2 VwGO. Dem Vorschlag wird nicht entgegengetreten. Er dient der Klarstellung, denn die Frage, ob die entsprechende Regelung in § 278 Abs. 6 ZPO über § 202 Satz 1 SGG Anwendung findet, wurde bisher in der Rechtsprechung unterschiedlich beantwortet.

 

VII. Klarstellung der Frage der Statthaftigkeit der Beschwerde gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe (§ 73a Abs. 1 Satz 1, § 172 Abs. 3 SGG)

Die Klarstellung der Frage der Statthaftigkeit der Beschwerde bei Anträgen auf Prozesskostenhilfe, wenn in der Hauptsache die Berufung der Zulassung bedürfte, ist notwendig, um die Rechtsunsicherheit durch die - teilweise auch innerhalb eines Landessozialgerichts bestehende (beispielsweise LSG Baden- Württemberg; gegen die Statthaftigkeit: Beschluss vom 5. Dezember 2008, L 8 AS 4968/08 PKH-B und Beschluss vom 30. März 2012, L 12 AS 664/12 B; für die Statthaftigkeit: Beschluss vom 6. Juli 2010, L 1 AS 2706/10 B, Beschluss vom 19. Januar 2011, L 7 AS 4623/10 B und Beschluss vom 12. August 2011, L 13 AS 1830/11 B) - unterschiedliche Rechtsprechung hierzu zu beenden. In der Sache selbst sprechen gute Gründe für eine Klarstellung im Sinne eines Beschwerdeausschlusses insbesondere bei Beschlüssen über die Ablehnung der Prozesskostenhilfe mangels Erfolgsaussicht, wenn das Hauptsacheverfahren der Zulassung der Berufung bedurfte, sowie in Verfahren, in denen durch Beschluss endgültig entschieden wird (Nebenverfahren). Der BDS hat sich bereits früher für einen Ausschluss der Beschwerde (Stellungnahme des BDS zum Entwurf eines ... Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes [BT-Drucks 16/3660]) ausgesprochen.

Soweit hieran in der Literatur Kritik geäußert worden ist (Bienert, info also 2013, 14), vermag dies nicht zu überzeugen. Dass gegen einen Ausschluss der Beschwerde (verfassungs-) rechtliche Bedenken bestehen, behaupten auch die Gegner eines Beschwerdeausschlusses nicht.

 

VIII. Ausschluss der Beschwerde gegen Beschlüsse des Sozialgerichts über die Ablehnung von Sachverständigen (§ 172 Abs. 2 SGG)

Der Änderungsvorschlag wird begrüßt. Er ist notwendig, um die Rechtsunsicherheit durch die - teilweise auch innerhalb eines Landessozialgerichts bestehende - unterschiedliche Rechtsprechung zur Statthaftigkeit der Beschwerde gegen sozialgerichtliche Beschlüsse über die Ablehnung von Sachverständigen (vgl. nur Roller in: Lüdtke, SGG, 4. Aufl. 2012, § 118 Rn. 29) zu beseitigen.

 

IX. Zusammenfassung

Die vorgeschlagenen Änderungen im SGG dienen einerseits der Klarstellung gesetzlicher Regelungen, zum anderen handelt es sich um maßvolle Korrekturen, für die durchweg ein Bedürfnis der gerichtlichen Praxis besteht.