Nr. 01/15

Stellungnahme des Bundes Deutscher Sozialrichter (BDS) zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Änderung des Sachverständigenrechts und zur weiteren Änderung des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit

Für die Möglichkeit, zu dem Referentenentwurf Stellung zu nehmen, bedanken wir uns. Unsere Stellungnahme beschränkt sich auf die Änderungsvorschläge zum Sachverständigenrecht in der ZPO. Die übrigen Regelungen betreffen die Sozialgerichtsbarkeit nicht.

Zunächst ist voranzustellen, dass die Sozialgerichtsbarkeit von den Neuregelungen unmittelbar betroffen ist, da § 118 Abs. 1 Satz 1 SGG auf das Recht der Beweisaufnahme der ZPO verweist. Die Auswirkungen für die tägliche Arbeit bei den Sozialgerichten sind erheblich. Wie der Entwurf ausführt, werden etwa ein Viertel aller Gutachten in der Sozialgerichtsbarkeit erstattet. Im Jahr 2013 wurde in 66.936 sozialgerichtlichen Verfahren mindestens ein Gutachten, in 21.163 Verfahren wurden mehrere Gutachten eingeholt (Statistisches Bundesamt, Fachserie 10, Reihe 2.7 [2014], S. 22). Das bedeutet, dass in rund jedem sechsten sozialgerichtlichen Klageverfahren eine medizinische Begutachtung stattfindet.

In der öffentlichen Diskussion zur Unabhängigkeit gerichtlich bestellter Sachverständiger und der Qualität gerichtlicher Gutachten hat die Sozialgerichtsbarkeit trotz der hohen Anzahl der hier in Auftrag gegebenen Gutachten nach unserem Eindruck bisher keine zentrale Rolle gespielt. Daraus schließen wir, dass das bisherige Recht der Begutachtung sowie die sozialgerichtliche Praxis in dieser Hinsicht weitgehend auf Akzeptanz stößt. Auch von Seiten der von uns vertretenen Richterschaft ist uns keine grundlegende Kritik übermittelt worden.

 

Zu den einzelnen Vorschlägen:

1. § 404 Abs.1 Satz 4 ZPO-E:

Eine generelle Pflicht der Anhörung der Beteiligten zur Person des zu ernennenden Sachverständigen wird abgelehnt. Jedenfalls sollte die Sozialgerichtsbarkeit von der Anwendung einer solchen Regelung ausgenommen werden.

Entgegen der Einzelbegründung, die offenbar von den Verfahren vor den Zivilgerichten geprägt ist, findet in der sozialgerichtlichen Praxis eine Anhörung der Beteiligten zur Person des Sachverständigen regelmäßig nicht statt. Eine Pflicht zur Anhörung erscheint auch nicht notwendig. Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen:

  • Bei medizinischen Fragestellungen in sozialgerichtlichen Verfahren hat eine entsprechende Beweiserhebung, einschließlich der Einholung von Gutachten, i.d.R. schon im vorangegangenen Verwaltungsverfahren stattgefunden. Die Klägerseite kann also bereits in einem sehr frühen Stadium durch Vorlage geeigneter Unterlagen die medizinischen Ermittlungen mitbeeinflussen.

  • Einwendungen gegen die Person des gerichtlichen Sachverständigen werden nach unserer Erfahrung nur selten erhoben. Gutachter, die bereits im vorangegangen Verwaltungsverfahren für einen der Beteiligten - typischerweise einen Sozialleistungsträger - tätig waren, scheiden naturgemäß für eine Bestellung durch das Gericht aus. Gleiches gilt für Ärzte, die eine persönliche oder enge wirtschaftliche Bindung zu einem der Beteiligten aufweisen. Einige medizinische Fragestellungen treten regelmäßig bei den Sozialgerichten auf. Für diese wird i.d.R. auf einen überschaubaren Kreis von Ärzten zurückgegriffen, die in der Region tätig sind oder bekanntermaßen Erfahrungen bei der Erstellung von Gerichtsgutachten aufweisen. Sie sind den Behörden und den regelmäßig bei den Sozialgerichten auftretenden Prozessvertretern bekannt. Ihre Unabhängigkeit und Fachkompetenz wird auch von keiner Seite angezweifelt.

  • Die Gutachten vor den Sozialgerichten werden ganz überwiegend schriftlich erstattet (§ 411 ZPO). Den Beteiligten ist der Name des Sachverständigen frühzeitig vor der Einbestellung zur Untersuchung bekannt, nämlich wenn der Gutachtensauftrag erteilt und den Beteiligten mitgeteilt wird. Damit ist das rechtliche Gehör der Beteiligten bei der Auswahl der Sachverständigen gewahrt. Sie haben Gelegenheit, Einwendungen gegen die Person des Gutachters zu erheben oder im Extremfall sogar einen Ablehnungsantrag (§ 406 ZPO) zu stellen. Beides ist in der sozialgerichtlichen Praxis selten. Werden nachvollziehbare Gründe vorgebracht, die gegen die Person eines Sachverständigen sprechen, folgt das Gericht dem im Regelfall. Denn es ist daran interessiert, dass die gutachtliche Untersuchung „reibungslos“ abläuft und das Gutachten möglichst auf „Akzeptanz“ bei den Beteiligten stößt.

  • Die Vorschrift des § 109 SGG gibt Klägern die Möglichkeit, eine weitere Begutachtung durchführen zu lassen, wenn das von Amts wegen eingeholte Gutachten für sie negativ ausfällt und das Gericht keine weiteren Ermittlungen von Amts wegen mehr vornehmen will. Sie können dabei selbst einen Arzt als Sachverständigen benennen, wobei sie im Regelfall die Kosten der Begutachtung vorzustrecken haben. Diese Kosten werden erstattet, wenn das Gutachten nach § 109 SGG das Verfahren objektiv gefördert hat. Im sozialgerichtlichen Verfahren können Kläger also die Entscheidung über die Person eines ärztlichen Sachverständigen nicht nur beeinflussen, sondern sogar (teilweise) bestimmen. Das unterscheidet das SGG von anderen Prozessordnungen deutlich.

  • Die am Verfahren beteiligten Leistungsträger sind infolge der bei ihnen vorhandenen Sachkenntnis in der Lage, sich qualifiziert mit einem Gutachten auseinanderzusetzen und ggf. eigene medizinische Stellungnahmen einzureichen, mit denen sich das Sozialgericht zu befassen hat. Oftmals verfügen auch die anwaltlich Bevollmächtigten der Kläger über vertiefte Kenntnisse zur Bewertung einer medizinischen Beweiserhebung.

  • Dass die Anhörung der Beteiligten zur Auswahl der Sachverständigen im sozialgerichtlichen Verfahren zu einer Verbesserung der Qualität der medizinischen Beweiserhebung führen würde, ist nicht erkennbar. Ohnehin existiert seit Jahrzehnten ein intensiver, auf vielen Ebenen geführter Dialog zwischen den sozialmedizinischen Praktikern auf der einen und der Sozialverwaltung/Sozialgerichtsbarkeit auf der anderen Seite. Mangelhafte Gutachten und eine zum Teil unzureichende Qualifikation der Sachverständigen, wie sie der Gesetzentwurf für die familiengerichtlichen Verfahren beschreibt, lassen sich für die Sozialgerichtsbarkeit nicht in erheblichem Umfang feststellen.

Eine Pflicht zur Anhörung wird aus sozialgerichtlicher Sicht sogar als schädlich angesehen.

  • Bereits jetzt gestaltet sich die Verfahrensführung namentlich in Streitsachen mit medizinischem Klärungsbedarf aufwändig und zeitintensiv. Das Gericht hat den Sachverhalt von Amts wegen aufzuklären (§ 103 SGG). Beteiligte können zudem nach Maßgabe der Vorschrift des § 109 SGG eigene Sachverständige benennen (s.o.). Oftmals stehen sich widersprechende Gutachten gegenüber, was Nachfragen bei den Sachverständigen durch die Beteiligten und das Gericht veranlasst und die Würdigung der Gutachten sehr anspruchsvoll macht.

  • Soweit in der Begründung des Referentenentwurfs darauf abgestellt wird, dass eine Verfahrensverzögerung nicht zu erwarten ist, weil die Anhörung schon bei Zustellung der Klageschrift bzw. im Rahmen der Ladung zu einem Termin, in dem der Sachverständige ernannt werden soll, erfolgt, entspricht dies nicht dem Verfahrensgang vor den Sozialgerichten. Im sozialgerichtlichen Verfahren muss das Gericht zunächst die Verwaltungsakten beiziehen, die darin enthaltenen medizinischen Unterlagen auswerten sowie die nach dem Vorbringen der Beteiligten gebotenen Ermittlungsschritte durchführen (z.B. Beiziehung weiterer Akten, Einholung von Befundberichten). Erst dann kann es beurteilen, ob und ggf. auf welchem Fachgebiet und mit welcher Fragestellung eine medizinische Beweiserhebung durch Einholung eines Sachverständigengutachtens erforderlich ist. Die Bestellung eines Sachverständigen erfolgt auch nicht in einem Termin, sondern in der Regel im schriftlichen Verfahren.

  • Bei der nach der Rechtsprechung des BSG regelmäßigen Anhörungsfrist von einem Monat würden sich die sozialgerichtlichen Verfahren durch eine routinemäßige Anhörung zur Person des Sachverständigen weiter verzögern. Im Laufe eines Verfahrens werden nicht selten mehrere Gutachten eingeholt, so dass sich die Anhörungsfristen summieren. In den Gebieten, in denen typischerweise medizinische Ermittlungen insbesondere durch Sachverständigengutachten anfallen, gestalten sich die Verfahrenslaufzeiten erkennbar ungünstiger, als im Durchschnitt aller sozialgerichtlichen Verfahren (s. Statistisches Bundesamt, a.a.O., S. 28 f). Wie der Evaluierungsbericht zum Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren (BT-Drs. 18/2950) jüngst bestätigt hat, ist die Sozialgerichtsbarkeit auch anfällig für unangemessen lange Gerichtsverfahren.

  • Eine Anhörung würde bei den Beteiligten Erwartungen wecken, die nicht erfüllt werden können. Nicht selten würden Kläger statt des vom Gericht vorgesehenen Sachverständigen behandelnde Ärzte vorschlagen, weil sie sich von diesen eine für sie günstige Beurteilung erhoffen. Schon jetzt werden nicht selten Atteste und Stellungnahme behandelnder Ärzte im gerichtlichen Verfahren vorgelegt. Die Sozialgerichte greifen jedoch bei der Sachverständigenauswahl aus guten Gründen nur in ganz besonderen Ausnahmefällen auf die behandelnden Ärzte zurück. Es ist also nicht zu erwarten, dass sie entsprechenden Vorschlägen der Kläger folgen werden. Die unvermeidbare Auseinandersetzung hierüber würde jedoch zu einer weiteren unnötigen Verzögerung des Verfahrens führen.

Es wird daher vorgeschlagen, sollte auf die Regelung nicht vollständig verzichtet werden, die Sozialgerichtsbarkeit aufgrund der bei ihr bestehenden Besonderheiten im Verfahrensrecht und der gerichtlichen Praxis von der Anwendung auszunehmen. Dies könnte durch folgende Ergänzung des Entwurfs geschehen:

Artikel xxx Änderung des Sozialgerichtsgesetzes

Das Sozialgerichtsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 23 September 1975 (BGBl. I S. 4535), das [einfügen] geändert worden ist, wird wie folgt geändert: In § 118 Absatz 1 Satz 1 wird die Angabe „406“ durch die Wörter § 404 Absatz 1 Satz 1 bis 3, Absatz 2 bis 4, die §§ 406“ ersetzt.

Ob eine vergleichbare Ausnahme auch für die anderen öffentlich-rechtlichen Prozessordnungen erfolgen soll, vermögen wir nicht zu überblicken. Wir bitten um eine entsprechende Prüfung.

 

2. § 407a Abs.1, Satz1, Abs.2, §411 ZPO-E

Die Einzelbegründung nimmt für die Frage, ob dem Sachverständigen eine Frist zur Erstattung des Gutachtens gesetzt wird, allein die Zivilgerichtsbarkeit in den Blick. Eine solche Fristsetzung entspricht bereits jetzt der Praxis der Sozialgerichte. Die Änderung der „Soll-Regelung“ in eine zwingende Vorschrift erscheint zwar nicht als notwendig, stellt sich aber auch nicht als schädlich dar.

Dass der gerichtliche Gutachter etwaige Ablehnungsgründe unverzüglich mitzuteilen hat, ist indirekt bereits in § 8a JVEG geregelt. Die Übernahme an der systematisch richtigen Stelle im Sachverständigenrechts der ZPO ist zu begrüßen.

Auch die Änderung der Regelung zur Festsetzung des Ordnungsgeldes gegen Sachverständige von einer „Soll-Regelung“ in eine „Kann-Regelung“ (§ 411 Abs. 2 ZPO-E) erscheint hier nicht notwendig. Sie erweckt zudem falsche Erwartungen, denn die eigentliche Problematik in der Sozialgerichtsbarkeit wird damit nicht zielgerichtet angegangen. Die Aufgabe, qualifizierte Ärzte zu finden, die eine sachkundige und zugleich zeitnahe Begutachtung durchführen können, ist besonders für einige seltenere medizinische Fachgebiete als zunehmend schwierig anzusehen (vgl. zuletzt Toparkus, MedSach 2015,120, 122). Viele Ärzte können mangels zeitlicher Ressourcen Sachverständigengutachten nicht oder nur nach langen Wartezeiten erstatten. An dieser grundlegenden Situation wird sich durch zunehmenden „Druck“ in Form von Fristen und Ordnungsgeldern wenig ändern. Vielmehr werden die Sozialgerichte weiterhin gezwungen sein, Fristen zur Erstattung von Gutachten auf Antrag zu verlängern bzw. mit der Festsetzung von Ordnungsgeldern maßvoll umzugehen.

Wir können nicht sicher einschätzen, ob sich die Lage entscheidend verbessern würde, wenn die Sätze für die Entschädigung der Sachverständigen erhöht würden. Eine Erhöhung ist erst durch die Änderungen zum 1. August 2013 durch das 2. KostRMoG (BGBl. I 2013, 2586) erfolgt. Die Möglichkeit einer weiteren Erhöhung sollte jedoch im Auge behalten werden.

Die Erhöhung der Obergrenze für das Ordnungsgeld erscheint für die Belange der Sozialgerichtsbarkeit nicht notwendig. Wenn Sachverständige durch eine (zweifache) Festsetzung eines Ordnungsgeldes im bisherigen Rahmen nicht zu beeindrucken waren, lagen die Gründe im Regelfall nicht in der zu geringen Höhe des Ordnungsgeldes.

 

3. Ergänzender Änderungsvorschlag: § 45 Abs. 2 DRiG (Vereidigung ehrenamtlicher Richterinnen und Richter)

Wir nehmen die geplanten Änderungen im Prozessrecht zum Anlass, noch auf einen Regelungsbedarf an anderer Stelle hinzuweisen.

§ 45 Abs. 2 DRiG sollte im Hinblick auf die Notwendigkeit, die Vereidigung ehrenamtlicher Richterinnen und Richter zu wiederholen, geändert werden.

Nach § 45 Abs. 2 DRiG sind ehrenamtliche Richter vor ihrer ersten Dienstleistung zu vereidigen. Die Vereidigung gilt für die Dauer des Amtes, bei erneuter Bestellung auch für die sich unmittelbar anschließende Amtszeit. Dies wird so verstanden, dass es einer Vereidigung nicht bedarf, wenn der ehrenamtliche Richter das erste Mal wiederbestellt wird, für eine zweite Wiederbestellung aber eine Vereidigung wieder notwendig wird (Schmidt-Räntsch, DRiG, 6. Aufl. 2009, § 45 Rn. 15).

In der Sozialgerichtsbarkeit sind Wiederbestellungen von ehrenamtlichen Richterinnen und Richtern mit mehr als zwei Amtszeiten häufig. Der Sinn, warum der Eid nur für zwei Amtszeiten gelten soll, erschließt sich uns nicht. Wir haben Hinweise, dass die Praxis die Einschränkung auch teilweise nicht beachtet und bei einer Wiederbestellung generell auf eine erneute Vereidigung verzichtet. Damit ist das Gericht nicht ordnungsgemäß besetzt, denn die Vereidigung ist für ehrenamtliche Richter konstitutiv (BVerwG, Beschluss vom 29. August 2011 - 6 B 28/11; Schmidt-Räntsch, a.a.O., Rn. 13).

Die Gesetzesbegründung der durch das Arbeitsgerichts-Änderungsgesetz vom 26. Juni 1990 (BGBl. I S. 1206) eingeführten Regelung lautet (BT-Drucks. 11/5465, S. 11): „Die vorgeschlagene Regelung stellt klar, daß es einer wiederholten Vereidigung nicht bedarf, wenn ein ehrenamtlicher Richter unmittelbar nach Ablauf seiner Amtszeit erneut bestellt wird.“ Denkbar ist, dass eine erneute Vereidigung für notwendig erachtet wurde, wenn zwischen den Amtszeiten zeitliche Lücken liegen. Ein zwingender Grund für die Beschränkung auch für nahtlose Neubestellungen lässt sich daraus aber nicht ableiten.

Wir schlagen daher vor, die Einschränkung zu streichen. Ein geänderter § 45 Abs. 2 Satz 2 DRiG könnte etwa wie folgt lauten: „Die Vereidigung gilt für die Dauer des Amtes, bei weiterer Bestellung auch für alle sich unmittelbar anschließenden Amtszeiten.“

stVDirSG Dr. Steffen Roller

Vorsitzender des BDS