Nr. 01/20

Stellungnahme des Bundes Deutscher Sozialrichter (BDS) zum Referentenentwurfdes Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz eines Gesetzes zur Änderung des Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetzes (JVEG-Änderungsgesetz 2020 – JVEG-ÄndG 2020); Bearbeitungsstand 17.12.2019

 

1/20 BDS 

10.02.2020

 

Der BDS ist zu dem Referentenentwurf des JVEG-Änderungsgesetzes 2020 bisher nicht förmlich beteiligt worden. Wegen der überaus großen Bedeutung der Vorschriften für die Sozialgerichtsbarkeit erlauben wir uns trotzdem zu einem Zeitpunkt Stellung zu nehmen, zu dem wir eine noch wirksame Einflussnahme auf das Gesetzgebungsverfahren erwarten. Im Jahr 2018 wurde in 37.940 sozialgerichtlichen Verfahren ein Gutachten, in 15.908 Verfahren wurden mehrere Gutachten eingeholt (Statistisches Bundesamt, Fachserie 10, Reihe 2.2 [2018], S. 22), wobei es sich in der ganz überwiegenden Zahl um medizinische Sachverständigengutachten handelte. Hinzu kam eine noch größere Anzahl an sachverständigen Zeugenanfragen bei behandelnden Ärzten.

 

  1. Gegen die Absicht, die Vergütungen anzuheben, bestehen keine Bedenken. Rückmeldungen aus der gerichtlichen Praxis deuten darauf hin, dass nicht wenige der befragten bzw. beauftragten Ärzte diese als unzureichend ansehen

  2. Bedenken bestehen aber gegen insbesondere die Sozialgerichtsbarkeit betreffende Änderungen in Art. 1 Nr. 8 Buchst. a (Änderung § 10 Abs. 2 JVEG) und Art. 1 Nr. 7, 21 (Änderung des § 9 Abs. 1 und der Anlage 2 zu § 10 Abs. 1 des JVEG) in Bezug auf die vorgesehene Anlage 1 Teil 2 und Anlage 2 Nr. 304.

    1. Zur Änderung des § 10 Abs. 2 JVEG

      • Das JVEG enthält in den §§ 8 und 9 den Grundsatz, dass der Sachverständige entsprechend der erforderlichen Zeit vergütet wird. Hiervon macht § 10 Abs. 2 JVEG für Röntgenleistungen (Abrechnung nach dem 1,3fachen GOÄ-Satz) und § 10 Abs. 1 für in Anlage 2 aufgeführte Untersuchungen eine Ausnahme. Mit der Aufnahme von Sonografie-Leistungen in § 10 Abs. 2 wird das Regel-Ausnahme-Verhältnis für die Honorierung der eigentlichen Untersuchung weiter umgekehrt und die Abrechnung erschwert und verzögert.

        Denn der Sachverständige rechnet die gesamte Zeit der von ihm durchgeführten Untersuchung gemäß § 9 JVEG mit dem Stundensatz ab. Sind nunmehr die vom Sachverständigen in der Regel selbst erbrachten Sonografie-Leistungen nach GOÄ abzurechnen, ist der entsprechende Zeitaufwand für die Sonografie von der Gesamtdauer der Untersuchung in Abzug zu bringen, da sonst insoweit doppelt vergütet würde. Wie dies in Ermangelung einer entsprechenden Datenerhebung - der Sachverständige wird kaum die Untersuchungsabschnitte mit der Stoppuhr begleiten - ohne die Abrechnung verzögernden und die Sachverständigen verärgernden Aufwand umgesetzt werden soll, ist nicht erkennbar. Derartige Schwierigkeiten treten bislang schon gelegentlich bei orthopädischen Gutachten auf, wenn der Sachverständige eine umfangreiche röntgenologische Untersuchung veranlasst, da die Befundung der Röntgenaufnahmen als Beurteilungszeit abgerechnet wird, im GOÄ-Satz aber enthalten (Allgemeine Bestimmungen Nr. 3 und 4) ist.

      • Zutreffend ist zwar, dass nicht darstellbar ist, aus welchen Gründen Röntgenleistungen nach GOÄ abgerechnet werden können, Sonografie-Leistungen aber nicht. Indessen gilt dies auch für andere apparatetechnische Untersuchungen. Deshalb erschließt sich auch nicht, aus welchen Gründen spezielle apparatetechnische Untersuchungen nach Anlage 2 Nr. 305 JVEG (zu den beabsichtigten Änderungen insoweit s. nachfolgend) - dort nach Gebührenrahmen, also wieder anderen Grundsätzen als Röntgenleistungen nach GOÄ - abzurechnen sind. Schon aus diesem Grund wird daher vorgeschlagen, diese unterschiedlichen Abrechnungsmodalitäten zugunsten einer Variante aufzugeben (s. die Ausführungen am Ende). 

      • Hinzu kommt, dass nach der grundsätzlichen Regelung in § 12 Abs. 1 Satz 1 JVEG die Kosten für die Praxis und die Geräte (übliche Gemeinkosten) mit der Vergütung nach Stunden gemäß § 9 JVEG abgegolten sind. Solche, nach JVEG nicht vergütungsfähigen Anteile sind aber in den Sätzen der GOÄ gerade enthalten (§ 4 Abs. 3 Satz 1 GOÄ, auf den § 10 Abs. 1 Satz 2 JVEG ausdrücklich verweist). Damit werden die von § 10 Abs. 2 JVEG erfassten Untersuchungen (nach dem Entwurf künftig auch die Sonografie) insoweit - ohne erkennbaren Grund - privilegiert, während dies bei allen anderen, auch mittels z.T. teuren Geräten durchgeführten Untersuchungen nicht der Fall ist. Dies gilt auch für die von § 10 Abs. 1 i.V.m Anlage 2 Nr. 305 JVEG (nach dem Entwurf künftig Nr. 304) erfassten Untersuchungen (Elektrophysiologie, nach dem Entwurf künftig auch Sinnesphysiologie), bei denen die Berücksichtigung der Anschaffungskosten zur Ausfüllung des Gebührenrahmens durch § 12 Abs. 1 Satz 1 JVEG gerade ausgeschlossen ist.

    2. Zu Anlage 1 des Entwurfs

      • In Bezug auf Anlage 1 Teil 2 des Entwurfs soll zunächst auf ein mögliches Redaktionsversehen hingewiesen werden: Der Satz in M 3 Nr. 22 erscheint insoweit sprachlich verunglückt, als nach „Berufskrankheiten oder Minderung der Erwerbsfähigkeit“ nach dem Koma „zur beruflichen Leistungsfähigkeit“ angefügt ist. Vermutlich sollte diese angefügte Textpassage eine eigene Nummerierung erhalten.

      • In Anlage 1 Teil 2 M 3 Nr. 22 des Entwurfs ist gegenüber dem geltenden Recht die Passage „bei besonderen Schwierigkeiten“ entfallen. M 3 Nr. 22 steht nun in Widerspruch zu M 2 Nr. 2, wo die Minderung der Erwerbsfähigkeit ebenfalls aufgeführt ist. Die bisherige Fassung an dieser Stelle „zu Berufskrankheiten und zur Minderung der Erwerbsfähigkeit bei besonderen Schwierigkeiten“ sollte daher entweder unverändert bleiben oder - klarstellend, dass die „besonderen Schwierigkeiten“ sich nur auf Minderung der Erwerbsfähigkeit beziehen - lediglich „und“ durch „oder“ ersetzt werden.

      • Sollten mit der Textpassage „zur beruflichen Leistungsfähigkeit“ die typischen Gutachten im Rahmen von Streitigkeiten zur Frage der Erwerbsminderung (insbes. in entsprechenden Rentenverfahren nach dem SGB VI) erfasst werden (andernfalls sollte der Gegenstand der Regelung erläutert werden), ergeben sich Widersprüche zur Definition der Honorargruppe M 3: Kausalitätsprobleme spielen bei Fragen der Erwerbsminderung regelmäßig ebenso wenig eine Rolle wie differentialdiagnostische Probleme; es handelt sich regelmäßig um Zustandsgutachten im Sinne von M 2 bei denen tatsächliche, durch Befunde gesicherte funktionelle Beeinträchtigungen (nicht Diagnosen und nicht deren Ursache) zu beurteilen sind. Die Textpassage „zur beruflichen Leistungsfähigkeit“ sollte daher Eingang bei M 2 finden.

    3. Zu Anlage 2 Nr. 304 des Entwurfs

      • Die beabsichtigte Gleichstellung sinnesphysiologischer mit elektrophysiologischen Untersuchungen führt zu identischen Schwierigkeiten wie bei § 10 Abs. 2 JVEG (s.o.) bei der nach § 9 JVEG für die Untersuchung geltend gemachten Zeit und - da das Honorar nach Anlage 2 Nr. 305 JVEG (Nr. 304 des Entwurfs) ausdrücklich eine kurze gutachtliche Äußerung umfasst - zusätzlich bei der Abrechnung des Zeitaufwandes für die eigentliche gutachtliche Beurteilung. Im Rahmen der Abrechnung muss deshalb vom Zeitaufwand für die gesamte Untersuchung (wenn diese Untersuchung vom Sachverständigen selbst durchgeführt wird) und auch für die immer vom Sachverständigen vorgenommene gutachtliche Beurteilung jener für die nach Anlage 2 abzurechnenden Untersuchungen einschließlich gutachtliche Äußerung abgezogen werden. Wie dies in Ermangelung einer entsprechenden Datenerhebung - der Sachverständige wird auch insoweit kaum die Untersuchungs- und Beurteilungsabschnitte mit der Stoppuhr begleiten - umgesetzt werden soll, ist nicht erkennbar. 

      • Die Aufnahme sinnesphysiologischer Untersuchungen in Nr. 304 der Anlage 2 ist angesichts der Vergütungsrahmens 20,00 bis 160,00 € teilweise auch nicht nachvollziehbar, ergeben sich doch Widersprüche zur GOÄ und damit zum Ziel, (nur) marktübliche Honorare zu erreichen. Als Beispiel sei die einfache Hörprüfung genannt, die nach GOÄ Nr. 1401 mit 6,84 € (einfacher Satz) vergütet wird, nach Nr. 304 der Anlage 2 des Entwurfs nunmehr mit mindestens 20,00 €.

      • Es fehlt außerdem - wie bisher - eine Regelung, nach welchen Kriterien das Honorar aus dem Honorarrahmen bestimmt werden soll. Die Kosten für die Praxis und die Geräte (übliche Gemeinkosten) sind mit der Zeitvergütung nach § 9 JVEG abgegolten, § 12 Abs. 1 Satz 1 JVEG. Sie dürfen daher beim Ausfüllen des Honorarrahmens nicht eingestellt werden. Zu der nicht erklärungsfähigen Privilegierung der von § 10 Abs. 2 JVEG erfassten Untersuchungen wird auf die Ausführungen oben verwiesen. Diese Unklarheit bei der Anwendung des Honorarrahmens wird nunmehr auf weitere Untersuchungen erstreckt.

    4. In Bezug auf § 10 Abs. 1 i.V.m. Anlage 2 Nr. 305 und § 10 Abs. 2 JVEG wird daher angeregt, den Fortbestand dieser Regelungen zu überdenken. Der für die Untersuchungen erforderliche Zeitaufwand des Sachverständigen wird von ihm ohnehin erfasst und kann nach § 9 JVEG vergütet werden. Hilfskräfte kann der Sachverständige nach § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 JVEG abrechnen, ebenso die Verbrauchsmaterialien. Möglich und bedenkenswert wäre auch die Alternative der Abrechnung sämtlicher Untersuchungen über die GOÄ zu einem vom Gesetzgeber vorgegebenen Satz (z.B. wie derzeit in § 10 Abs. 2 JVEG: 1,3fach) anstelle einer Vergütung gemäß § 9 JVEG nach Stunden für die Untersuchung. Die derzeit geltende Mischform - Zeitvergütung, Abrechnung nach GOÄ, Abrechnung nach Honorarahmen - führt schon nach geltendem Recht zu den beschriebenen Friktionen und sollte keinesfalls, wie im Entwurf vorgesehen, noch ausgeweitet werden.

  3. Aus der gerichtlichen Praxis kann die Anregung weitergegeben werden, zu prüfen, ob Fristen für den Antrag auf gerichtliche Festsetzung (§ 4 Abs. 1 JVEG) und für die Beschwerde (§ 4 Abs. 3 JVEG) eingeführt werden können. Neben der allgemeinen Frist für die Geltendmachung des Anspruchs (§ 2 Abs. 1 Satz 1 JVEG) sind Anträge bzw. Beschwerden bisher nur durch die Verwirkung zeitlich begrenzt, deren Voraussetzungen im Einzelfall unklar sein können.

 

Gunther Lambert

Vorsitzender Richter am Landessozialgericht

 

Dr. Steffen Roller

Direktor des Sozialgerichts

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