Nr. 02/12

Stellungnahme des BDS zum Referentenentwurf für ein Gesetz zur Änderung des Prozesskostenhilfe- und Beratungshilferechts

 

Vorbemerkung

Die nachfolgende Stellungnahme konzentriert sich auf diejenigen Teile des Entwurfs, die spezifische Auswirkungen auf das sozialgerichtliche Verfahren haben. Im Übrigen nehmen wir auf die Stellungnahme des Deutschen Richterbundes Bezug.

 

Zu Art 1 § 114 Abs. ZPO-Entwurf

Insoweit wird zunächst auf die Ausführungen des Deutschen Richterbundes Bezug genommen.

Ergänzend weisen wir auf Folgendes hin:

Die vorgeschlagene Änderung löst nicht das Problem, das in Streitsachen nach dem SGB II oftmals deutlich wird. Dort werden in nicht unwesentlicher Anzahl Klageverfahren anwaltlich betrieben, deren Streitwert unter 10 Euro liegt. Infolge dessen steht die Honorierung der anwaltlichen Tätigkeit durch Betragsrahmengebühren über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe außer Verhältnis zum Wert des Streitgegenstandes. Die über die Prozesskostenhilfe zu tragenden Rechtsanwaltsgebühren übersteigen damit in einer Vielzahl von Sozialrechtsstreiten die mit der Klage geltend gemachte Summe ganz erheblich. Wir hatten bereits im unserer Stellungnahme zum Entwurf eines 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes darauf hingewiesen, dass die anwaltliche Tätigkeit in Streitsachen, welche eine langfristige soziale Absicherung der Kläger zum Gegenstand haben (insbesondere unfallversicherungs- und rentenversicherungsrechtliche Streitigkeiten), nicht niedriger honoriert werden sollte als in Streitigkeiten, welche die vorübergehende soziale Sicherung der Kläger zum Gegenstand haben (insbesondere Streitsachen um Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II). Dieses Ungleichgewicht wird über die Prozesskostenhilfebewilligung verbestärkt. Denn Prozesskostenhilfe muss auch dann bewilligt werden, wenn um einen Gesamtbetrag in einstelliger Höhe gestritten wird und Erfolgsaussicht besteht. Es erscheint höchst fraglich, ob die Prozesskostenhilfe aufgrund der vorgeschlagenen Neuregelung bei derart niedrigen Streitwerten versagt werden kann. Das dargestellte Ungleichgewicht in der Vergütung anwaltlicher Tätigkeit könnte nur durch Einführung streitwertabhängiger Gebühren anstelle der Betragsrahmengebühren beseitigt werden.

 

Zu Art 1 § 115 ZPO-Entwurf

Auch insoweit wird zunächst auf die Ausführungen des Deutschen Richterbundes Bezug genommen. Ergänzend schlagen wir vor, eine zusätzliche Ziffer in § 115 Abs. 1 Satz 3 mit einer Regelung einzufügen, wonach Mehrbedarfe nach § 21 SGB II und § 30 SGB XII als nicht berücksichtigungsfähiges Einkommen anzusehen sind.

Infolge der Absenkung von Freibeträgen nach § 115 ZPO und der Abschaffung der Tabelle zur Ermittlung der Ratenhöhe kommt es in Betracht, dass die Bezieher von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II oder Sozialhilfe nach dem SGB XII die festgesetzten Monatsraten aus den Mehrbedarfen bestreiten müssen. Mit anderen Worten: Monatsraten werden in bestimmten Fällen dem Grunde nach erhoben oder höher festgesetzt, weil die Mehrbedarfe in die Berechnung des Einkommens einbezogen werden (vgl. dazu: BGH, Beschluss vom 05.05.2010 – XII ZB 65/10 – MDR 2010,948 mit Anmerkung Harich, Sozialrecht aktuell 2010, 41).

 

Zu Art 1 §§ 118 – 124 ZPO

Nach hiesiger Einschätzung steht der finanzielle Ertrag nachträglicher, anlassunabhängiger Prüfungen in keinem Verhältnis zu dem hierfür notwendigen finanziellen (Zustellungskosten) und personellen Aufwand. Zudem führen Anfragen bei Prozessvertretern, die nach der Rechtsprechung auch Jahre nach Beendigung des Hauptsacheverfahrens weiterhin für die Anfragen zuständig bleiben (vergleiche LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 11.07.2011, L 2 AS 1462/11 B), oftmals nicht nur zu Unverständnis, sondern auch zu tatsächlichen Schwierigkeiten, wenn kein Kontakt mehr zur Mandantschaft besteht. Zwar wird auf S. 38 des Entwurfs auf den laufenden Erfüllungsaufwand für die Länder in Form eines erhöhten Personalbedarfs hingewiesen. Der daraus erwachsende zusätzliche Aufwand wird jedoch sicherlich nicht durch die zu erwartenden Einsparungen oder erhöhte Rückflüsse kompensiert, geschweige denn übertroffen werden.

 

Zu Art 1 § 118 ZPO-Entwurf

§ 118 Abs. 3 S. 3 Nr. 2 Buchstabe a) ZPO-Entwurf sieht eine Anfrage bei den Sozialleistungsträgern vor. Diese setzt jedoch eine Einwilligung des Antragstellers voraus. Eine solche Einwilligung ist im Überprüfungsverfahren oftmals nicht zu erlangen, wenn der Beteiligte auf Anfragen des Gerichts überhaupt nicht reagiert. Im Bewilligungsverfahren ist für den Fall der fehlenden Einwilligung die Versagung der Prozesskostenhilfe vorgesehen (§ 118 Abs. 3 S. 2 ZPO-E). Eine vergleichbare Situation besteht beim Überprüfungsverfahren nicht, so dass eine fehlende Reaktion zunächst ohne Wirkung bleibt. Von daher wird vorgeschlagen, bei § 120a Abs. 4 S. 2 ZPO-E (welche auf § 118 Abs. 2 ZPO-E verweist) folgenden Halbsatz anzufügen: „; einer Einwilligung bedarf es im Fall einer Auskunft bei Sozialleistungsträgern nach § 118 Absatz 2 Satz 3 Nr. 2 nicht.“

 

Zu Art 1 § 120a ZPO-Entwurf

Die Einführung einer Obliegenheit zur unverzüglichen Anzeige einer Veränderung der für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe maßgebenden persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnisse mit der Möglichkeit zur Abänderung der Bewilligung ist schon in der 8. Wahlperiode diskutiert worden und ist wegen des damit verbundenen erheblichen personellen und materiellen Mehraufwands durch die dann erforderliche verwaltungsintensive Überprüfung und ggf. Neufestsetzung nicht umgesetzt worden (BT-Drucks. 8/3068, S. 7 [§ 121], 31 f, 8/3694, S. 17 f).

Die Regelung zur Überprüfungspflicht des Gerichts in § 120a Abs. 3 Satz 2 ZPO-E lässt nicht hinreichend klar erkennen, ob diese Überprüfung lediglich unmittelbar nach Rechtskraft der Entscheidung bzw. der sonstigen Beendigung des Verfahrens erfolgen soll oder auch (wiederholt) zu einem späteren Zeitpunkt innerhalb der 6-Jahresfrist nach § 120a Abs. 1 S. 4 ZPO-E. Gleichfalls ist unklar, ob es hierfür konkreter, für das Gericht erkennbarer Anhaltspunkte für eine wesentliche Veränderung in den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen bedarf. In der gerichtlichen Praxis hat dies in der Vergangenheit zu einigen Unklarheiten geführt, nachdem in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen auf Anregung des Landesrechnungshofes solche „anlassunabhängigen“ Prüfungen durchgeführt worden sind (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 09.06.2011, L 13 AS 120/11 B, und Beschluss vom 11.07.2011, L 2 AS 1462/11 B, Justiz 2011, 369).

Nicht selten werden die notwendigen Angaben erst im Beschwerdeverfahren gemacht, worauf die Aufhebungsentscheidung nach § 124 Nr. 2 ZPO - wenn sich weiterhin Bedürftigkeit herausstellt - auf die Beschwerde hin aufgehoben werden muss. Es wird daher vorgeschlagen, die Pflicht zur Überprüfung auf den Zeitpunkt unmittelbar nach Rechtskraft der Entscheidung oder sonstiger Beendigung des Verfahrens zu beschränken. Dies ist auch sachgerecht, da die Partei aufgrund § 120a Abs. 2 ZPO-E eine eigenständige Verpflichtung trifft, Änderungen innerhalb der 6-Jahresfrist mitzuteilen. Hilfsweise wäre daran zu denken, eine Überprüfungspflicht auch in der Zeit nach der Rechtskraft der Entscheidung oder sonstigen Beendigung des Verfahrens bis zum Ablauf der 6-Jahresfrist auf die Fälle zu beschränken, in denen das Gericht konkrete Anhaltspunkte für eine Änderung der wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse hat.

Begrüßt wird die Verpflichtung zur Verwendung eines Formulars auch im Überprüfungsverfahren (§ 120a Abs. 4 ZPO-Entwurf). Dies erleichtert die Prüfung der Änderung der Prozesskostenhilfe erheblich.

 

Zu Art 1 § 127 Abs. 3 ZPO-Entwurf

Die vorgeschlagene Änderung wird abgelehnt.

Bedenken bestehen gegen die Erweiterung des Beschwerderechts des Bezirksrevisors auf die Fälle der Bewilligung von Prozesskostenhilfe mit Ratenzahlung. In der Gesetzesbegründung (S. 50-51) wird zwar der zusätzliche Aufwand für den Bezirksrevisor in die Abwägung mit einbezogen. Keine Berücksichtigung findet jedoch, dass durch die Beschwerdeverfahren auch erhebliche richterliche Ressourcen gebunden werden. Vor dem Hintergrund, dass der Ratenzahlungszeitraum von 48 auf 72 Monate verlängert wird, dürften für die Staatskasse mit einer zu niedrigen Ratenfestsetzung keine so großen finanziellen Belastungen verbunden sein, dass dies die Erweiterung der Beschwerdemöglichkeit rechtfertigt.

 

Zu Art 11 § 73a Abs. 1 SGG-Entwurf

Der Gesichtspunkt der personellen Diskontinuität erfordert nicht zwingend die Beiordnung von Rentenberatern und Angehörigen der steuerberatenden Berufe im Wege der Prozesskostenhilfe. Wenn ein Beteiligter im Wege der Beratungshilfe die Hilfe eines Rechtsanwalts für das Betreiben eines Widerspruchsverfahren in Anspruch nimmt, steht es ihm frei, für die Durchführung des Klageverfahrens einen anderen Rechtsanwalt zu beauftragen. Die Bezugnahme auf die Gebührenvorschrift der Nr. 3103 VV RVG – geminderter Gebührenrahmen bei Vorbefassung im Widerspruchsverfahren – geht fehl, da nach den Vorstellungen des Bundesjustizministeriums im Referentenentwurf zum 2. KostRMoG die Vorschrift der Nr. 3103 VV RVG durch die Einführung der sog. „echten“ Anrechnungslösung ersetzt werden soll. Hinsichtlich der Konsequenzen nehme ich Bezug auf die Stellungnahme des Verbandes zum 2. KostRMoG, in der es heißt: „Dies hat zur Konsequenz, dass der Rechtsanwalt im Kostenfestsetzungsverfahren nach § 55 RVG die ungekürzte Verfahrensgebühr, d. h. ohne Abzug des Anrechnungsbetrages – auch wenn er im Widerspruchsverfahren tätig war – in Ansatz bringen kann (vgl. FG Düsseldorf Beschluss vom 10.5.2011, 9 KO 1223/11 KF). Dem Rechtsanwalt steht ein Wahlrecht zu, ob er die Kostenfestsetzung nach § 55 RVG oder nach § 197 SGG beantragt.“

Ferner ist zu bedenken, dass nach derzeitiger Rechtsprechung (LSG Sachsen, Beschluss vom 31.08.2011 - L 7 AS 553/11 B PKH - LSG Bad.-Württ., Beschluss vom 21.02.2011 – L 13 AL 5384/10 B – und Beschluss vom 11.07.2011 – L 2 AS 1462/11 B; BGH, Beschluss vom 08.12.2010 – XII ZB 38/09) eine im Gerichtsverfahren erteilte Prozessvollmacht für einen Rechtsanwalt, der im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordnet worden ist, sich auf alle Neben- und Folgeverfahren nach Abschluss des gerichtlichen Verfahrens erstreckt, ein beigeordneter Rechtsanwalt also in Verfahren nach §§ 120, 124 ZPO zu beteiligen ist. Im Hinblick darauf, dass der Überprüfungszeitraum von vier auf sechs Jahren erweitert werden soll, müssten die Rentenberater und die Angehörigen der steuerberatenden Berufe bereit und in der Lage sein, Verfahren über diesen Zeitraum hinweg zu betreuen. Dies erscheint fraglich.

Im übrigen hat der Gesetzgeber aus gutem Grund bisher die Beiordnung auf Rechtsanwälte begrenzt. Sie sind Organ der Rechtspflege und unterliegen den in der Bundesrechtsanwaltsordnung normierten Pflichten (u. a. § 48 BRAO). Dies ist bei den im Änderungsvorschlag genannten Personengruppen nicht der Fall.

 

Zu Art 11 § 73a Abs. 4 – 5 SGG-Entwurf

Es handelt sich um Folgeänderungen zu den vorgeschlagenen Änderungen der §§ 118 – 124 ZPO sowie der vorgeschlagenen Änderungen im RPflG. Diese berücksichtigen nur unzureichend, dass es in der Sozialgerichtsbarkeit keine Rechtspfleger gibt. Während der Entwurf an anderer Stelle (S. 36 unten) mit der Übertragung auf Urkundsbeamte mit speziellen Fachkenntnissen argumentiert wird, fehlt in § 73a Abs. 4 – 5 SGG-Entwurf eine dem entsprechende Zuweisung an den Urkundsbeamten des gehobenen Dienstes.

 

Zu Art 11 § 73a Abs. 7 SGG-Entwurf

Für Entscheidungen nach § 73 Abs. 4 – 6 SGG sollte nicht der Senat als Spruchkörper, sondern der Berichterstatter, dem die Aufgaben übertragen sind, als Einzelrichter zuständig sein. Dazu sollte in § 155 Abs. 2 SGG eine klarstellende Regelung eingefügt werden.

Für das Erinnerungsverfahren sollte durch eine klarstellende Regelung in § 155 Abs. 2 SGG die Zuständigkeit des Vorsitzenden geregelt werden, der diese nach Abs. 4 auf den Berichterstatter übertragen kann.

 

Zu § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG

In der Rechtsprechung der Landessozialgerichte ist seit Jahren umstritten, ob die Beschwerde gegen einen die Bewilligung von PKH wegen fehlender Erfolgsaussichten in der Hauptsache ablehnenden Beschluss auch dann zulässig ist, wenn in der Hauptsache die Berufung nicht kraft Gesetzes zulässig wäre (vgl. statt vieler: LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 10.08.2011 - L 5 KR 213/10 B PKH – Breith. 2011, 1067 mit Anmerkung Röhl, jurisPR- SozR 6/2012 Anm. 6). Eine Klarstellung im Gesetz ist daher dringend erforderlich.