Nr. 02/18

Gemeinsame Stellungnahme des Bundes Deutscher Sozialrichter und des Richtervereins der Sozialgerichtsbarkeit Nordrhein-Westfalen zur Reform des Juristenausbildungsgesetzes Nordrhein-Westfalen (JAG NRW)


Gerne nehmen wir die Gelegenheit wahr, zu den Änderungsanregungen des von den Justizministerinnen und Justizministern am 09.11.2017 gebilligten Berichts des Ausschusses der Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister zur Koordinierung der Juristenausbildung zu Harmonisierungsmöglichkeiten für die juristischen Prüfungen (KOA) aus der Sicht der sozialgerichtlichen Praxis Stellung zu nehmen.

Die Sozialgerichtsbarkeit ist nach der ordentlichen Gerichtsbarkeit die wohl größte Gerichtsbarkeit. Ihr kommt neben der Rechtsschutzgewährung auch die wichtige Aufgabe der Sicherstellung des sozialen Friedens zu. Sie ist – nur um die quantitativ bedeutsamsten Rechtsgebiete zu nennen – zuständig für die Leistungen aus der gesetzliche Arbeitslosen-, Renten-, Unfall-, Kranken- und Pflegeversicherung, der Grundsicherung für Arbeitsuchende („Hartz IV“), der Sozialhilfe, dem Recht zur Teilhabe und dem Schwerbehindertenrecht. Im Jahr 2014 wurden ca. 850 Milliarden Euro Sozialleistungen erbracht. In diesem Zeitraum belief sich die Sozialleistungsquote, das heißt der Anteil der Sozialleistungen am Bruttoinlandsprodukt, auf knapp 30% (NZS 2015, S. 816). Diese Quote ist weiterhin stabil.

Die von der Sozialgerichtsbarkeit in vielfältigen Fallgestaltungen zu beantwortende Frage, welche Ansprüche etwa gesetzlich Sozialversicherte, Bezieher von Sozialhilfe oder von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch („Hartz IV“) gegen die jeweiligen Leistungsträger haben, betrifft die übergroße Mehrheit der Bevölkerung. Enge Bezüge bestehen auch zum Wirtschafts- und insbesondere zum Arbeitsrecht. So kann die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses nicht ohne Berücksichtigung der sozialversicherungsrechtlichen Folgen gestaltet werden.

Schon derzeit steht die sich daraus ergebende große gesellschaftliche, soziale, wirtschaftliche und politische Bedeutung des Sozialrechts in einem krassen

Missverhältnis zur Intensität der wissenschaftlichen Beschäftigung in Lehre und Forschung mit ihm. Hierauf haben schon die Präsidentinnen und Präsidenten der Landessozialgerichte auf ihrer Jahreskonferenz vom 04. bis 06.05.2015 mit ihrem Beschluss „Sozialrechtswissenschaft und Sozialgerichtsbarkeit“ (vgl. NZS 2015, S. 817) hingewiesen und die Bedeutung der universitären Forschung und Lehre im Sozialrecht für die sozialgerichtliche Rechtsprechung betont.

Das Sozialrecht gehört in der universitären Ausbildung im Gegensatz zu den anderen „großen“ Rechtsgebieten, nämlich dem Zivil-, Straf-, Verfassungs-, Verwaltungs- und Arbeitsrecht, nicht zum Pflichtstoff des Ersten Juristischen Staatsexamens (vgl. § 11 Abs. 2 JAG NRW) und als Folge dessen auch nicht zum Pflichtstoff des Zweiten Juristischen Staatsexamens (vgl. § 52 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 JAG NRW). Es wird nur im Schwerpunktbereich, als aus Neigung wählbares Fach gelehrt, sofern die Universitäten dies anbieten (vgl. § 28 Abs. 4 Nr. 3 JAG NRW). Dies wird der Bedeutung des Sozialrechts nicht im Ansatz gerecht und führt bereits jetzt zu großen Problemen bei der Gewinnung geeigneten Nachwuchses für die Sozialgerichtsbarkeit, wie inzwischen auch einer breiteren Öffentlichkeit bekannt ist (vgl. etwa Süddeutsche Zeitung vom 01.12.2017, „Bayern sucht dringend Sozialrichter“).

Nach dem Bericht des KOA, den die Justizministerinnen und Justizminister nunmehr gebilligt haben, soll das Ergebnis der universitären Schwerpunktbereichsprüfung künftig nur noch zu 20% statt 30% in das Ergebnis der Ersten Juristischen Staatsprüfung einfließen. Die Zahl der Semesterwochenstunden für diesen Bereich soll ferner deutlich (von 16 auf 10 bis 14 Stunden) verringert werden. Hinzu kommt, dass das Sozialrecht im Bericht der KOA lediglich an wenigen Stellen überhaupt nur erwähnt wird (auf S. 9 Teilbericht Schwerpunktbereichsprüfung, in Fußnote 105 Nr. 7 S. 19 Teilbericht Schwerpunktbereichsprüfung und in der tabellarischen Auflistung S. 49 ff. Teilbericht Harmonisierung einzelner Bereiche).

Dass der Bund Deutscher Sozialrichter aus den genannten Gründen diese Pläne entschieden ablehnt, haben wir bereits mit unserer Stellungnahme „01/17 BDS“ von Januar 2017, abrufbar auf unserer Homepage (www.bunddeutschersozialrichter.de – Menüpunkt: Verbandsarbeit - Stellungnahmen), deutlich gemacht. Wir regen stattdessen an, das Sozialrecht als eigenständigen Schwerpunktbereich auszugestalten, damit im Studium zumindest die Möglichkeit besteht, sich in einem Semesterwochenstundenumfang von 16 Stunden vertieft auch mit dem materiellen Sozialrecht zu befassen.

Ferner empfehlen wir eine Aufnahme des Sozialrechts in den Pflichtfachkanon der universitären Ausbildung und schlagen eine entsprechende Erweiterung des § 11 Abs. 2 JAG NRW vor. Unser Formulierungsvorschlag lautet:

Pflichtfächer sind (...) 15. das Sozialrecht, einschließlich der Besonderheiten des sozialrechtlichen Verfahrens- und Prozessrechts, im Überblick“.

 

gez. Dr. Berendes                            gez. Dr. Freudenberg

Vorstandsmitglied im                     Vorsitzender des Richtervereins

Bund Deutscher Sozialrichter

Dokumente