Stellungnahme des Bundes Deutscher Sozialrichter (BDS) zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Änderung des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes und des Justizkostenrechts (Kostenrechtsänderungsgesetz 2025 - KostRÄG 2025)
Der BDS bedankt sich für die Möglichkeit, zu dem Referentenentwurf Stellung nehmen zu können. Wir nehmen diesen zum Anlass, zwei regelungsbedürftige Punkte anzusprechen.
1. Vergütung des besonderen Vertreters nach § 72 SGG
Ist ein Kläger wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit prozessunfähig (§ 71 Abs. 1 SGG i.V.m. § 104 Nr. 2 BGB) und kommt eine rechtliche Betreuung nicht zustande, darf die Klage nicht als unzulässig abgewiesen, sondern es muss grundsätzlich ein besonderer Vertreter nach § 72 Abs. 1 SGG bestellt werden. Dies dient der Verwirklichung der prozessualen Rechte eines Prozessunfähigen durch die Sicherstellung seines Rechtsschutzes; ihm soll effektiv rechtliches Gehör verschafft werden (BSG v. 15.11.2012 – B 8 SO 23/11 R, SozR 4-1500 § 72 Nr. 2, juris Rn. 9; BSG v. 28.8.2018 – B 8 SO 13/18 B, juris Rn. 7; BSG v. 15.11.2012 – B 8 SO 23/11 R, SozR 4-1500 § 72 Nr. 2, juris Rn. 12; ausführlich Roller, SGb 2022, 216). In der gerichtlichen Praxis sind entsprechende Fälle nicht allzu häufig, kommen aber doch mit einer gewissen Regelmäßigkeit vor.
Der Absatz 2 des § 72 SGG sieht darüber hinaus die Bestellung eines besonderen Vertreters vor, wenn der Aufenthaltsort eines Beteiligten oder seines gesetzlichen Vertreters vom Sitz des Gerichts weit entfernt ist. Diese Fälle sind jedoch überaus selten, sodass diese Regelung in der gerichtlichen Praxis kaum zur Anwendung gelangt.
Wie die Vergütung des besonderen Vertreters sichergestellt werden soll, ist streitig. Ausdrücklich ist eine solche nicht vorgesehen. Der besondere Vertreter kann lediglich gegenüber dem Beteiligten Auslagenersatz entsprechend §§ 1875, 1877-1879, 1888 BGB geltend machen. Dieser wird bei den oftmals mittellosen Klägern nicht durchsetzbar sein. Ein Anspruch gegen die Staatskasse wird von einem Teil der Literatur mangels gesetzlicher Grundlage verneint. Mehrheitlich wird dies jedoch anders gesehen, wobei verschiedene rechtliche Begründungen angeführt werden. Ein Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse wird aus einer analogen Heranziehung der Vorschriften zum Prozesspfleger (§ 1 Abs. 1 Satz 1, § 45 Abs. 1 RVG), zum beruflichen Betreuers (§ 1875 Abs. 2 BGB i.V.m. § 2 VBVG) oder zum im Sozialverwaltungsverfahren bestellten Vertreter (§ 15 Abs. 3 SGB X) hergeleitet (Nachweise bei Roller, SGb 2024, 250, 251), in der neueren Rechtsprechung wird auch § 45 Abs. 3 RVG herangezogen (SG Konstanz v. 2.2.2024 – S 9 SF 749/22 E, SGb 2024, 249). Im Übrigen behilft sich die gerichtliche Praxis oftmals damit, die Vergütung des Rechtsanwalts über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe sicherzustellen. Wenig überzeugend ist es aber, zunächst die nach § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO notwendige hinreichende Aussicht auf Erfolg zu bejahen, um kurz darauf die Klage ohne großen Begründungsaufwand abzuweisen.
Die Bestellung des besonderen Vertreters dient auch der Prozessökonomie (BSG v. 15.11.2012 – B 8 SO 23/11 R, SozR 4-1500 § 72 Nr. 2, juris Rn. 9). Ohne diese kann das gerichtliche Verfahren nicht ordnungsgemäß zu Ende gebracht werden. Gerade bei psychisch kranken Klägern im Sinne des § 72 Abs. 1 SGG kann die Prozessvertretung zeitaufwendig und nervenzehrend sein. Es besteht daher ein Bedürfnis, geeignete Personen zu gewinnen, die als besondere Vertreter tätig werden.
In der gerichtlichen Praxis kommen als besondere Vertreter oftmals nur Rechtsanwälte in Frage. Aus nachvollziehbaren Gründen werden diese dazu nur bereit sein, wenn ihre Tätigkeit auch entlohnt wird. Wer zum besonderen Vertreter bestellt wird, muss das Amt nicht annehmen (zu Ausnahmen s. Roller in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl., § 72 SGG, Stand: 15.06.2022, Rn. 36).
Es wäre daher wünschenswert, diese unbefriedigende rechtliche Lage zu bereinigen und einen Vergütungsanspruch des besonderen Vertreters gegen die Staatskasse klar zu regeln. Regelungstechnisch sind sicherlich mehrere Wege denkbar. Am einfachsten scheint es uns, die Vorschrift des § 72 SGG in § 41 RVG aufzunehmen, womit auch ein Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse nach § 45 Abs. 1 RVG bestünde.
Folgt man diesem Vorschlag, wären in § 41 Satz 1 RVG das Wort „oder“ durch ein Komma zu ersetzen und nach dem Wort „Steuerberatungsgesetz die Worte „oder § 72 des Sozialgerichtsgesetzes“ einzufügen.
Ergänzend könnte ein Rückgriffsrecht der Staatskasse gegen den Vertretenen geregelt werden, um in Fällen von vermögenden Vertretenen eine unsachgemäße Belastung der Staatskasse zu vermeiden. Hierfür bietet sich eine Regelung dahingehend an, dass der Anspruch des Rechtsanwalts auf Erstattung seiner Vergütung gegen den von ihm vertretenen Beteiligten, einen erstattungspflichtigen Gegner oder etwaige sonstige Dritte insoweit auf die Staatskasse übergeht, als diese die Vergütung ganz oder teilweise leistet. In § 59 Abs. 1 Satz 1 RVG sollten daher nach „Verwaltungsgerichtsordnung“ die Wörter „oder nach § 72 des Sozialgerichtsgesetzes“ eingefügt werden.
2. Diskrepanzen zwischen der Berechnung von Wertgebühren und Betragsrahmengebühren
Wertgebühren im Sinne von § 3 Abs. 1 Satz 2 RVG, für deren Bemessung der Streitwert maßgebend ist, entstehen in voller Höhe beim ersten Anfall der Gebühr. Die Höhe der Gebühr ist unabhängig von der Häufigkeit der Erfüllung des Gebührentatbestandes. Demgegenüber ist für die Bemessung von Betragsrahmengebühren im Sinne von § 3 Abs. 1 Satz 1 RVG u. a. ein quantitatives Kriterium - der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit - maßgebend. Dieses steht erst nach Abschluss des Verfahrens fest.
Dies führt zu zwei Problemfällen, die gesetzgeberisch angegangen werden könnten.
a) Verbindung/Trennung
Werden zwei Verfahren, die zunächst selbstständig anhängig gemacht worden sind, zu einem verbunden (§ 113 Abs. 1 SGG), so bleiben einmal entstandene Gebühren aus den getrennten Verfahren bestehen (§ 15 Abs. 4 RVG). Gebühren, die ein Rechtsanwalt einmal verdient hat, kann er nicht verlieren.
Bei Wertgebühren ist in der Literatur und Rechtsprechung anerkannt, dass ein Rechtsanwalt wählen kann, ob er die Gebühren aus den getrennten Verfahren und aus dem verbundenen Verfahren, in dem die Gebühren nur einmal (aus dem addierten Werte) anfallen, verlangt. Er kann sich dabei für die ihm günstigere Variante entscheiden. Er kann nicht zusätzlich zu den Gebühren aus den getrennten Verfahren vor der Trennung noch die Gebühren aus dem Verfahren nach der Verbindung verlangen. Dies ergibt sich daraus, dass das verbundene Verfahren mit den vorher geführten Einzelverfahren dieselbe Angelegenheit im Sinne von § 15 Abs. 2 RVG bildet (s. Mueller-Raabe in: Gerold/Schmidt RVG, 26. Aufl, VV 3100 Rn 52 ff mit Rechenbeispielen).
Diese Lösung auf die Betragsrahmengebühren übertragen, hat zur Konsequenz, dass ein Teil der anwaltlichen Tätigkeit, die unter dem Kriterium des Umfangs der anwaltlichen Tätigkeit zu berücksichtigen ist, bei der Bemessung der Verfahrensgebühr nicht zu berücksichtigen ist. Dies ist vor dem Hintergrund problematisch, dass es in einigen sozialgerichtlichen Teilrechtsgebieten nicht unüblich ist, auch Verfahren zu verbinden, die nicht dieselbe Angelegenheit im Sinne des § 15 Abs. 2 RVG betreffen.
b) Mehrvergleich
Bei Wertgebühren führt eine einvernehmliche Einigung immer nur zu einer Einigungsgebühr. Dabei spielt es keine Rolle, ob in der Einigung auch Gegenstände mitgeregelt werden, die unter Umständen zu unterschiedlichen Angelegenheiten gehören. Weiterhin ist es unerheblich, ob die Gegenstände in verschiedenen gerichtlichen Verfahren anhängig sind, ob sie teilweise anhängig sind und teilweise nicht oder ob sie sämtliche nicht anhängig sind sowie verschiedenen Lebenssachverhalten angehören. Es ist auch unerheblich, ob die Einigung bei Gericht oder außergerichtlich erfolgt. Die Beteiligten bringen durch die Einbeziehung in einer Einigung zum Ausdruck, dass sie hinsichtlich der Einigungsgebühr alles als eine Angelegenheit behandeln wollen (Mueller-Rabe, a.a.O. VV 1003, 104 Rn. 71ff mit Rechenbeispielen). Für die Berechnung der Einigungsgebühr werden die Streitwerte addiert.
Bei Betragsrahmengebühren entspricht die Höhe der Einigungsgebühr der Verfahrensgebühr (Nr. 1006 VV RVG). Werden in einem gerichtlichen Termin mehrere Verfahren, die keine dieselbe Angelegenheit im Sinne von § 15 Abs. 2 RVG sind, in einem Vergleich erledigt, fallen nach Auffassung in der Rechtsprechung mehrere Einigungsgebühren an. Gerade im sozialgerichtlichen Teilrechtsgebieten der Grundsicherung für Arbeitssuchende/Bürgergeld sind Vergleiche in Fallgestaltungen nicht unüblich, welche die gleiche Rechtsfrage betreffen, aber nicht dieselbe Angelegenheit im Sinne von § 15 Abs. 2 RVG bilden.
Prof. Dr. Steffen Roller
Direktor des Sozialgerichts
Vorsitzender des BDS