Nr. 03/15

Stellungnahme des Bundes Deutscher Sozialrichter (BDS) zum Gesetzentwurf eines Gesetzes zur Änderung des Sachverständigenrechts und zur weiteren Änderung des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit BR-Drs. 438/15

 

Die Stellungnahme beschränkt sich auf die besonders problematische Regelung des § 404 Abs. 2 ZPO-E (Art. 1 Nr. 1 des Gesetzentwurfs): „Vor der Ernennung sollen die Parteien zur Person des Sachverständigen gehört werden.“

Aufgrund der Besonderheiten des sozialgerichtlichen Verfahrens sollte die Sozialgerichtsbarkeit von der Regelung ausgenommen werden. Ansonsten befürchten wir eine Verkomplizierung und eine erhebliche Verlängerung des Verfahrens sowie zusätzliche Kosten für die Justizhaushalte.

Der BDS hatte bereits ausführlich zum Referentenentwurf vom 29. Mai 2015 Stellung genommen.Die dort vorgesehene zwingende Anhörung der Beteiligten zur Person des Gutachters (§ 404 Abs. 2 ZPO-E) ist im Regierungsentwurf nun in eine Soll- Regelung „abgemildert“ worden. Wir erkennen an, dass versucht worden ist, den von uns und auch von Seiten der gerichtlichen Praxis vorgebrachten Einwänden Rechnung zu tragen. Dies ist aber nach unserer Auffassung nicht gelungen.

Die vor allem im familiengerichtlichen Bereich geäußerte Kritik an Unabhängigkeit und Sachkunde der Gutachter lässt sich auf die Sozialgerichtsbarkeit so nicht übertragen. Auf der Beklagtenseite steht im Regelfall eine Behörde, die bereits im Verwaltungsverfahren medizinische Ermittlungen vorgenommen hat. Der medizinische Sachverhalt ist also bereits vor Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens zu einem erheblichen Teil von einer staatlichen Stelle aufgeklärt worden. Die Kläger haben das Recht, selbst einen medizinischen Gutachter zu benennen, der dann vom Gericht gehört werden muss (§ 109 SGG). Beide Prozessbeteiligte haben damit bereits jetzt einen erheblichen Einfluss auf die Sachaufklärung durch Gutachten.

Eine Anhörung zur Person eines - von Amts wegen bestimmten - Gutachters (§ 106 SGG) suggeriert dem Kläger demgegenüber eine im Regelfall faktisch nicht bestehende Gestaltungsmöglichkeit und bietet so lediglich Anlass für fruchtlose Auseinandersetzungen. Den damit einhergehenden Aufwand für die Gerichte übersieht der Gesetzentwurf. Bei einer im sozialgerichtlichen Verfahren üblichen Anhörungsfrist von einem Monat mit ggf. darauf folgender Auseinandersetzung über die Person des Gutachters wäre die Folge eine erhebliche Verlängerung der sozialgerichtlichen Verfahren, ohne dass dem ein greifbarer Nutzen gegenüberstehen würde. Dies sollte dringend vermieden werden, zumal zu erwarten ist, dass die Zahl der Verfahren nach dem Asylbewerberleistungsgesetz und der Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) in naher Zukunft ansteigen und sich dadurch die ohnehin hohe Belastung der Sozialgerichte weiter erhöhen wird.

Die Einzelbegründung im Gesetzentwurf nennt zwar Beispiele, wie die Anhörung von den Sozialgerichten vereinfacht vorgenommen werden könnte. Diese Ausführungen erscheinen für den Regelfall eines sozialgerichtlichen Verfahrens mit medizinischen Ermittlungen jedoch wenig tauglich und zeigen letztlich nur die geringe Vertrautheit mit dem praktischen Ablauf des sozialgerichtlichen Verfahrens auf.

Zudem würden erhebliche Mehrkosten anfallen: Um zu vermeiden, dass der Zugang des Anhörungsschreibens im Nachhinein bestritten wird, muss dieses zugestellt werden. Die Kosten dieser Zustellungen benennt der Gesetzentwurf nicht.

Die Sozialgerichtsbarkeit ist durch die zahlreichen bei ihr eingeholten medizinischen Gutachten von der Neuregelung erheblich betroffen. Wir regen daher noch einmal dringend an, sie von der regelhaften Verpflichtung zur Anhörung zur Person des Gutachters auszunehmen. Eine solche Ausnahme ließe sich, wie dies von uns bereits vorgeschlagen wurde, einfach durch eine Ergänzung des § 118 Abs. 1 Satz 1 SGG umsetzen. Der Gesetzentwurf wäre daher durch folgende Regelung zu ergänzen:

 

Artikel xxx Änderung des Sozialgerichtsgesetzes

Das Sozialgerichtsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 23 September 1975 (BGBl. I S. 4535), das [einfügen] geändert worden ist, wird wie folgt geändert:

In § 118 Absatz 1 Satz 1 wird die Angabe „406“ durch die Wörter §§ 404 Absatz 1, Absatz 3 bis 5, 404a bis 406“ ersetzt.

 

Ergänzend wird noch auf Folgendes hingewiesen:

Die im Gesetzentwurf enthaltene Aussage, eine (gemeint:) Pflicht zur vorangehenden Anhörung ergebe sich aus dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG), ist nicht belegt. Wir halten sie in dieser Allgemeinheit auch nicht für zutreffend. Zu berücksichtigen ist, dass die Sozialgerichte nicht gehindert sind, in besonderen Einzelfällen - die aber die deutliche Ausnahme darstellen - die Beteiligten zur Person des Sachverständigen anzuhören, wie dies auch bisher praktiziert wird.

stVDirSG Dr. Steffen Roller

Vorsitzender des BDS