Nr. 03/17

Stellungnahme des Bundes Deutscher Sozialrichter (BDS) zum Referentenentwurf einer Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung (ERV)

 

Zu § 2 ERV-E (allgemein):

Bei ersten Tests zum elektronischen Rechtsverkehr ist als problematisch erkannt worden, dass elektronische Dokumente ungeordnet eingehen. D.h. anders als bei Papierschriftsätzen lassen sich der eigentliche Schriftsatz und die jeweiligen Anlagen nicht unmittelbar identifizieren. Durch entsprechende Vorkehrungen etwa in Anwaltssoftware können elektronische Dokumente geordnet versandt werden.

Um aufwändige und zeitraubende Sortierarbeiten in den Gerichten zu vermeiden, sollte die ERV durch geeignete Regelungen zur Bedingung machen, dass Schriftsätze und Anlagen in bestimmter Weise geordnet zu übersenden sind.

 

Zu § 2 Abs. 1 Nr. 2 ERV-E:

Nach § 1 Abs. 1 ERV-E bezieht sich – gängiger Auffassung zu § 65a SGG bzw. § 130a ZPO entsprechend (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage 2014, § 65a Rn. 5) – die Verordnung und damit § 2 Abs. 1 Nr. 2 ERV-E zwar grundsätzlich wohl auch auf nicht prozessbeteiligte Dritte, wie etwa Sachverständige oder Ärzte, die um die Erstattung von Gutachten oder Befundberichten gebeten wurden.

Da es sich insbesondere bei Gutachten und Befundberichten, die in sozialgerichtlichen Verfahren in sehr großer Zahl anfallen, um (elektronische) Dokumente handelt, die zu Beweiszwecken eingereicht werden, gilt jedoch § 118 Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 371 Abs. 1 S. 2 ZPO. D.h. insoweit kann jedes beliebige Format verwandt werden, ohne dass das Gericht die Annahme verweigern darf (vgl. Keller a.a.O. Rn. 10).

Wegen der Vielzahl der in sozialgerichtlichen Verfahren zu Beweiszwecken beizuziehenden Dokumente (insbesondere ärztliche Befundberichte und medizinische Gut- achten) besteht daher die Gefahr, dass § 2 ERV-E seinem offenkundigen Ziel, eine einheitliche und ökonomische elektronische Aktenführung zu ermöglichen, zumindest insoweit nicht gerecht werden wird.

Es wird daher angeregt, jedenfalls für „professionelle“ nichtverfahrensbeteiligte Dritte, wie etwa Ärzte oder Sachverständige zumindest gewisse Sollstandards für die Einreichung elektronischer Dokumente vorzusehen.

 

Zu § 2 Abs. 2 ERV-E:

  • Es wird angeregt, die Formulierung der Vorschrift als „Sollregelung“ noch ein- mal zu überdenken. Wenn die Einreicher die in § 2 Abs. 2 Nr. 1 bis 5 ERV-E aufgezählten Informationen (teilweise) nicht als strukturierten maschinenlesbaren Datensatz beifügen, wird dies zu nicht unerheblichen Zuordnungsproblem und damit zu unnötigem Arbeits- und Pflegeaufwand in den Gerichten führen. Dies würde vermieden, wenn § 2 Abs. 2 ERV-E als zwingende Regelung aus- gestaltet würde.

    Zur Arbeitserleichterung in den Gerichten sollte zumindest verbindlich vorgesehen werden, dass sich ein elektronisches Dokument jeweils nur auf ein gerichtliches Verfahren beziehen darf.

  • Sofern es bei einer „Sollregelung“ bleibt, wäre es sinnvoll, den Katalog des § 2 Abs. 2 Nr. 1 bis 5 ERV-E um weitere Punkte (denkbar z.B. Klageschrift, Rücknahme, Beweisantrag, sonstige prozessuale Erklärung, Gutachten o.ä.) zu ergänzen. Da der ERV eher als der Bekanntmachung nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 ERV-E (vgl. dazu die Begründung des Referentenentwurfs zu § 5, Seite 15 dritter Absatz) eine zumindest mittelbare Steuerungswirkung auf die Einreicher zukommen dürfte, ließe sich auch hierdurch der Pflegeaufwand bei den Gerichten reduzieren.

    Auf jeden Fall sollte, der Verordnungsgeber dafür Sorge tragen, dass die Verordnung bei – sei es auch nur gerichtsbarkeitsspezifischem – Ergänzungsbedarf zeitnah angepasst wird.

 

zu § 3 ERV-E:

Die Ausnahmeregelung erscheint problematisch.

  • Es ist fraglich, ob die Regelung nicht schon den von der Verordnungsermächtigung in § 65a Abs. 2 S. 2, Abs. 4 Nr. 3 SGG (§ 130a Abs. 2 S. 2, Abs. 4 Nr. 3 ZPO) gesteckten Rahmen überschreitet, weil das Gesetz (zukünftig) in § 65d S. 3 SGG (§ 130d S. 2 ZPO) die Übermittlung von Schriftsätzen nach den allgemeinen Vorschriften nur dann vorsieht, wenn die Übermittlung von elektronischen Dokumenten aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich ist.

  • Nach der geplanten Fassung des § 3 ERV-E sind (insbesondere für bestimmende Schriftsätze) Streitigkeiten darüber vorprogrammiert, ob die nach § 5 Abs. 1 Nr. 3 ERV-E bekannt gemachten Höchstgrenzen durch geeignete technische Maßnahmen (etwa durch Komprimierung) nicht doch hätten eingehalten werden können. Dies erscheint umso problematischer, als die nach § 5 Abs. 1 Nr. 3 ERV-E festzulegenden Höchstgrenzen (mit 30 MB bzw. 60 MB – vgl. dazu die Begründung des Referentenentwurfs zu § 5, Seite 15 letzter Ab- satz) derzeit offenbar noch denkbar gering sind.

    Es bedarf daher zumindest näherer Bestimmungen dazu, unter welchen Voraussetzungen davon auszugehen ist, dass die nach § 5 Abs. 1 Nr. 3 ERV-E bekannt gemachten Höchstgrenzen nicht eingehalten werden konnten. In diesem Zusammenhang wäre es etwa denkbar auch Regelungen zu zulässigen Komprimierungsmöglichketen zu treffen (vgl. dazu etwa § 2 Abs. 6 ERVVOBSG).

 

Zu Kapitel 3 ERV-E:

Wegen der hohen Bedeutung einer möglichst einfachen und reibungslosen Kommunikation zwischen Gericht und Behörde im sozialgerichtlichen Verfahren begrüßt der BDS im Grundsatz die in Kapitel 3 ERV-E vorgesehene Möglichkeit der Einrichtung eines besonderen elektronischen Behördenpostfachs.

Insbesondere im Hinblick auf die Übersendung der – bei vielen im sozialgerichtlichen Verfahren beteiligten Verwaltungsträgern bereits elektronisch geführten – Verwaltungsvorgänge sind jedoch noch Fragen offen.

  • So ist nach Kenntnis des BDS bislang noch nicht klar und damit dringend regelungsbedürftig, was im elektronischen Rechtsverkehr überhaupt als Verwaltungsvorgang anzusehen und damit an die Gerichte zu übersenden ist.

    Es bedarf – wenn auch möglicherweise nicht zwingend im Rahmen der ERV – insbesondere normativer Vorgaben, die sicherstellen, dass dem Gericht um- fassend und unverändert genau die Daten zur Prüfung übersandt werden, die auch der Behörde vorliegen. Dies schließt namentlich Bearbeitungsvermerke und ggf. auch die Struktur der Dateien ein, wie sie in den Dokumenten-Managementsystemen der Verwaltungsträger vorgehalten werden.

  • Ferner wird darauf hingewiesen, dass sich das oben zu § 3 ERV-E angesprochene Problem der Überschreitung der nach § 5 Abs. 1 Nr. 3 ERV-E bekannt gemachten Höchstgrenzen gerade bei den im sozialgerichtlichen Verfahren oftmals sehr umfangreichen Verwaltungsvorgängen stellen wird.

Thomas Ottersbach

Richter am Landessozialgericht, Schriftführer des BDS

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