Nr. 05/12

Anhörung im sächsischen Landtag zur Landtagsdrucksache Drs 5/7663 „Verwaltungs-, Sozial- und Finanzgerichte zu einer einheitlichen Fachgerichtsbarkeit zusammenführen“

Stellungnahme des Bundes Deutscher Sozialrichter

Vorbemerkung:

Meine nachfolgenden Ausführungen geben die Positionen des Bundesverbandes des Deutschen Richterbundes auf der Basis von Beschlüssen des Bundesvorstandes wieder. Der DRB sieht nach wie vor keine hinreichende Begründung für die Zusammenführung der öffentlich-rechtlichen Gerichtsbarkeiten.

Ich entnehme der Begründung zum Entschließungsantrag der CDU-Fraktion und der FDP-Fraktion vom 05.12.2011 und dem Schreiben von Staatsminister Dr. Martens vom 28.02.2012 im wesentlichen vier Argumente, zu denen ich im einzelnen Stellung nehmen möchte.

  1. Künftigen, schwer absehbaren Änderungen in der Belastung, die die Gerichte nicht aus eigener Kraft ausgleichen können, soll wirksam begegnet werden.

    Angesichts der Tatsache, dass die über Jahrzehnte hinweg umfangreichste Verschiebung der Belastung im richterlichen Bereich der Verwaltungs- und Sozialgerichtsbarkeit von den Gerichten inzwischen weitgehend bewältigt worden ist, überrascht die nunmehr vorgetragene Begründung. Die Vermutung, Richterinnen und Richter seien zu einem Wechsel an ein anderes Gericht oder in eine andere Gerichtsbarkeit nicht bereit, hat sich weder in Sachsen noch im restlichen Bundesgebiet bewahrheitet. Soweit in einzelnen Bereichen des Bundesgebiets noch immer eine deutliche Überbelastung der Sozialgerichte festzustellen ist, geht diese nicht etwa mit einer ebenso deutlichen Unterbelastung der Verwaltungs- und Finanzgerichte einher. Vielmehr handelt es sich um eine Unterbesetzung im richterlichen Dienst in der Justiz insgesamt. Außerdem haben wir gerade in den neuen Bundesländern beobachtet, dass Belastungsunterschiede zwischen Sozialgerichten und Staatsanwaltschaften sowie zwischen Sozialgerichten und Arbeitsgerichten bestanden haben. Eine Zusammenlegung kommt insoweit nach allgemeiner Ansicht nicht in Betracht. Auch insoweit sind allerdings Richter und Staatsanwälte inzwischen in die Sozialgerichtsbarkeit gewechselt und haben die vielfach bezweifelte Flexibilität der Richter und Staatsanwälte eindrucksvoll unter Beweis gestellt.

    Ein ähnlich tiefgreifender gesetzgeberischer Eingriff mit derart weitgehenden Auswirkungen auf die Justiz, wie es durch die Einführung der Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende und die Übertragung der Rechtswegzuständigkeit für diese Streitsachen und für die restliche Sozialhilfe und die Streitsachen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zum Jahresbeginn 2005 geschehen ist, hat es in den Jahrzehnten zuvor nicht gegeben und dies ist auch auf absehbare Zeit nicht zu erwarten. Auch insoweit ist der Anlass für die vorgesehene Umstrukturierung nicht erkennbar.

  2. Statt der Justizverwaltung sollen die Präsidien der Gerichte, also Richtergremien, über den Personaleinsatz entscheiden, somit werde eine Stärkung der Selbstverwaltung der Judikative erreicht.

    Dass die Bildung zusammengefasster Gerichte auf der Ebene der Präsidien über viele Jahre hinweg sich kompliziert gestalten würde, davon gehen die bisher vorgelegten Entwürfe eines Zusammenführungsgesetzes aus. Danach sollen auf Jahre hinaus in den Präsidien Sperrminoritäten für den sozialgerichtlichen und den verwaltungsgerichtlichen Teil eines solchen Gerichts bestehen. Es überrascht, dass die vom Deutschen Richterbund auf Bundesebene propagierte Selbstverwaltung der Justiz allein auf die öffentlich-rechtlichen Gerichtsbarkeiten und allein in Bezug auf die Zusammenführungsfrage thematisiert wird. Hier liegt der Verdacht nahe, dass künftig den Präsidien die Last der Mangelverteilung bei unzureichender Personalausstattung in noch größerem Maße auferlegt werden soll, als es derzeit bereits der Fall ist.

  3. Es sollen mehr Transparenz und Bürgernähe geschaffen werden.

    Komplizierte Zuständigkeitsfragen belasten Rechtsuchende der öffentlich-rechtlichen Gerichtsbarkeit in 99 % der Fälle nicht, da Verwaltungsverfahren mit dem Erlass von Bescheiden vorausgehen, die eine Rechtsmittelbelehrung im Bezug auf das sachlich und örtlich anzurufende Gericht enthalten. Ein ausnahmsweise falsch beschrittener Rechtsweg wird ohne besonderen Aufwand und ohne Rechtsschutznachteile für die Beteiligten durch die §§ 17 ff. GVG korrigiert. Im Übrigen entstehen in Einzelfällen bei den Bürgerinnen und Bürgern Unklarheiten in Bezug auf die Gerichtszuständigkeit bestehen nicht innerhalb der öffentlich-rechtlichen Gerichtsbarkeiten, sondern bei der Abgrenzung zur Zivilgerichtsbarkeit z. B. in Amtshaftungs- und Enteignungssachen. Eine Zusammenlegung der öffentlich-rechtlichen Gerichtsbarkeiten würde diese Zuständigkeitsprobleme nicht lösen. Es mag zwar zutreffen, dass die Zuständigkeitsverteilung innerhalb der öffentlich rechtlichen Gerichtsbarkeiten in einzelnen Bereichen – historisch bedingt – wenig zweckmäßig ist. Sollte hierin ein Mangel gesehen werden, ließe sich dieser durch die Änderung der Zuständigkeitsvorschriften beheben, ohne ganze Gerichtsbarkeiten zusammenzulegen. Hinzu kommt, dass große Verwaltungseinheiten für die Bürger oft unüberschaubar sind. In kleinen Gerichten ist es für sie viel einfacher, sich zu orientieren, zutreffende Auskünfte zu erhalten und sich zurechtzufinden.

  4. Verschlankung und Effektivierung sollen erreicht werden

    Große Verwaltungseinheiten alleine garantieren noch keine bessere Effizienz der darin geleisteten Arbeit. Eine Zusammenlegung der öffentlich-rechtlichen Gerichtsbarkeiten führt zu keiner Verbesserung der Effizienz. Organisationsuntersuchungen sowohl in der Wirtschaft als auch in der Verwaltung haben gezeigt, dass kleine Einheiten insgesamt effizienter sind als große. Die Zusammenlegung – etwa in Großstädten – würde vielfach zu Gerichtsgrößen führen, die weit über dem zur effektiven Aufgabenerledigung vertretbaren Optimum liegen. Diese Erkenntnis wurde gerade auch aus Untersuchungen an großen Gerichten der ordentlichen Gerichtsbarkeit gewonnen. Die Untersuchungsergebnisse haben dazu geführt, Großeinheiten (wie Schreibkanzlei und Geschäftsstellenbetrieb) in kleinere, den spezialisierten Spruchkörpern zugeordnete Serviceeinheiten umzuformen.

    Eine Kostenersparnis, die mit dem Schlagwort der Verschlankung als Effekt gemeint sein könnte, ist bei einer Zusammenlegung nicht zu erwarten. Zumindest die Zusammenlegung der Obergerichte würde in Sachsen zu erheblichen zusätzlichen Kosten – bedingt durch Neubauten – führen. Kosteneinsparungen durch die Reduzierung von Gerichtsleiterstellen mittelfristig beinträten, würden durch die Höherstufung der Gerichtsleiter der dann größeren Gerichte weitestgehend kompensiert.

 

Schlussbemerkung:

Nach den uns vorliegenden Erkenntnissen gibt es nur in einigen wenigen Bundesländern Bestrebungen zur Zusammenlegung der öffentlich-rechtlichen Gerichtsbarkeiten. Allerdings wird auf Länderebene vertreten, im Rahmen eines sogenannten Optionsmodells könne die Zusammenlegung – womöglich noch in unterschiedlichen Varianten – in einzelnen Ländern erfolgen, während die anderen Ländern davon Abstand nehmen. Dem tritt der Deutsche Richterbund vehement entgegen. Die Konsequenz wäre nämlich eine Aufsplitterung der Gerichtsstrukturen, die wahrscheinlich auch vor der ordentlichen Gerichtsbarkeit und der Arbeitsgerichtsbarkeit nicht halt machen würde. Damit wäre der Zustand der Zersplitterung, der vor der Verabschiedung der Reichsjustizgesetze im 19. Jahrhundert bestanden hat, wieder hergestellt. Der Deutsche Richterbund sieht die derzeit bestehenden bundeseinheitlichen Gerichtsstrukturen als wesentlichen Standortvorteil für die Bundesrepublik Deutschland an. Er vertritt dies im Rahmen des vom Bundesministerium der Justiz geschlossenen Bündnisses für das deutsche Recht zusammen mit dem Deutschen Anwaltverein, der Bundesrechtsanwaltskammer, dem Deutschen Notarverein und dem Deutschen Juristinnenbund. Er sieht keine Notwendigkeit, das System der Gerichtsbarkeiten in der Bundesrepublik Deutschland neu zu erfinden. Wer für Veränderungen bestehender Strukturen eintritt, muss den Nachweis erbringen, dass seine Vorschläge zu deutlichen Verbesserungen führen und dass etwaige Nachteile durch höherrangige Vorteile ausgeglichen werden. Ein derartiger Nachweis ist weiterhin nicht erbracht.