Nr. 1/19

Stellungnahme des BDS zum Referentenentwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales – Entwurf eines Gesetzes zur Regelung des Sozialen Entschädigungsrechts

Der Bund Deutscher Sozialrichter nimmt zu Gesetzesvorhaben vor allem dann Stellung, wenn von ihnen unmittelbare Auswirkungen auf die sozialgerichtlichen Verfahren zu erwarten sind. Dies ist hier der Fall, weswegen es verwundert, dass der Verband nicht im Rahmen der allgemeinen Verbändebeteiligung beteiligt worden ist.

Vor diesem Hintergrund äußern wir uns zu folgenden Punkten:

1.

Nach § 14 Abs. 2 SGB XIV-E ist ein Verhalten im Sinne von Absatz 1 Nummer 2 in der Regel schwerwiegend – und damit als psychische Gewalttat zu qualifizieren –, wenn es den Tatbestand des Menschenhandels (§§ 232 bis 233a des Strafgesetzbuchs), der Nachstellung (§ 238 Absatz 2 und 3 des Strafgesetzbuchs), der Geiselnahme (§ 239b des Strafgesetzbuchs) oder der räuberischen Erpressung (§ 255 des Strafgesetzbuchs) erfüllt oder von mindestens vergleichbarer Schwere ist.

Der Begriff „mindestens vergleichbare Schwere“ erscheint in diesem Zusammenhang zu unbestimmt.

Soweit der Gesetzgeber Verhalten meint, das weitere strafrechtliche Tatbestände erfüllt, so sollten diese konkret benannt werden (so ist in der Begründung des Entwurfs als Beispiel die Nachstellung im Sinne des § 238 Absatz 1 StGB genannt). Es könnte auch geregelt werden, dass die Verwirklichung bestimmter Straftatbestände nicht in der Regel als schwerwiegend anzusehen ist, sondern nur bei Hinzutreten bestimmter Umstände.

Sofern der Gesetzgeber – was nach Entwurfstext und Begründung nicht ausgeschlossen ist – auch Verhalten einbeziehen möchte, das keinen Straftatbestand erfüllt, dürfte die Vorschrift für die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit nur schwer handhabbar sein. Es ist absehbar, dass Anspruchsteller (m/w/d) sich auf ihr subjektives Empfinden berufen werden, das einer Prüfung an Hand nachvollziehbarer Kriterien kaum zugänglich sein dürfte.

Wünschenswert wäre also ein Entfallen der Formulierung „oder von mindestens vergleichbarer Schwere ist“, zumindest aber eine Änderung in „oder einen Straftatbestand von mindestens vergleichbarer Schwere erfüllt“.

2.

Nach § 15 Abs. 1 Nr. 5 SGB XIV-Esteht die „erhebliche Vernachlässigung“ von Kindern einer Gewalttat gleich.

Der Begriff der „erheblichen Vernachlässigung“ dürfte zu unbestimmt und für die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit nicht handhabbar sein.

In der Begründung des Entwurfs heißt es hierzu:

Gemeint sind Fälle, in denen die Sorgeberechtigten einem Kind keine unmittelbare körperliche Gewalt antun, sie jedoch nicht für sein körperliches und psychisches Wohl sorgen, es sich selbst überlassen, so dass das Kind erheblichen körperlichen oder psychischen Schaden nimmt. Erfasst sind körperliche Vernachlässigungen wie unzureichende Ernährung und Verhinderung medizinisch notwendiger Hilfe. Ebenso erfasst ist psychische Vernachlässigung, sofern sie als dauerhaftes, ausgeprägtes Fehlverhalten der Sorgeberechtigten in Erscheinung tritt. Die Vernachlässigung muss erheblich und als eindeutig falsches Erziehungsverhalten zu werten sein. So genügt etwa das Alleinelassen des Kindes für kurze Zeit nicht, um eine erhebliche Vernachlässigung zu begründen.

Auch die Begründung enthält zahlreiche unbestimmte Begriffe; insbesondere zur psychischen Vernachlässigung fehlt es an nachvollziehbaren Kriterien für eine gerichtliche Prüfung. Allein die Frage, was „eindeutig falsches Erziehungsverhalten“ ist, wird Anlass zu Meinungsverschiedenheiten geben, zu deren Entscheidung gerichtliche Verfahren ungeeignet sind. Auch hier ist abzusehen, dass Anspruchsteller (m/w/d) sich auf ihr subjektives Empfinden berufen werden.

Wünschenswert wäre eine Fassung, die jedenfalls eine rein psychische Vernachlässigung nicht umfasst.

3.

§ 51 Abs. 1 Nr. 6 SGG-E sieht die umfassende Zuständigkeit der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit in Angelegenheiten des Sozialen Entschädigungsrechts vor; Streitigkeiten in Angelegenheiten der Kriegsopferfürsorge und nach denjenigen Gesetzen, die §§ 25 ff. BVG in Bezug nehmen,sollen nicht mehr ausgenommen sein.

Die Regelung wird begrüßt. Es handelt sich um eine sinnvolle Arrondierung der bereits bestehenden Zuständigkeiten der Sozialgerichtsbarkeit.Bereits heute ist diese für das gesamte Fürsorgerecht (SGB II, SGB XII, Asylbewerberleistungsgesetz, §§ 6a, 6b BKGG) mit Ausnahme der Kriegsopferfürsorge zuständig. Die bisherige Rechtswegezuweisung dürfte lediglich noch historisch erklärbar sein und kann angesichts der grundlegenden Neureglung der Materie bereinigt werden. Da es nach dem Gesetzentwurf keine unterschiedlichen Träger für die Bereiche der Kriegsopferversorgung und der Kriegsopferfürsorge mehr gibt, erscheint es konsequent, auch den Rechtsweg zu vereinheitlichen (vgl. die Begründung des Entwurfs).

4.

Zu dem Art. 28 des Entwurfs  vorgesehenen neuen Leistungsausschluss des § 7 Abs. 4b SGB II-Eist anzumerken, dass der Gesetzgeber übersieht, dass der Leistungsausschluss zur Folge hat, dass die Betroffenen auch keinen Anspruch auf Leistungen zur Eingliederung in Arbeit nach § 16ff. SGB II hat und die Jobcenter auch nicht für die Arbeitsvermittlung zuständig sind. Soweit in § 64 SGB XIV-E Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben vorgesehen sind, findet diese Vorschrift nicht auf Hinterbliebene Anwendung, die aber bei Bezug von Leistungen nach § 93 SGB XIV-E von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen sind. Auch ist das Leistungsspektrum des § 64 SGB XIV-E nicht identisch mit dem der §§ 16 ff. SGB II.

Soweit der Gesetzgeber bezweckt, dass durch die Vorschrift des § 7 Abs. 4b SGB II-E die Leistungen nach § 93 SGB XIV-E im Fall des Bestehens einer Bedarfsgemeinschaft nicht als Einkommen im Wege der horizontalen Berechnungsmethode auf die Bedarfe aller Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft verteilt wird, also vertikal gerechnet wird und damit in Konsequenz  eine sog. "gemischte Bedarfsgemeinschaft" besteht, könnte diese Problematik dadurch geregelt werden, dass in § 11 Abs. 1 SGB II eine Vorschrift eingefügt wird, dass Einkommen aus § 93 SGB XIV-E ausschließlich auf den Bedarf des Leistungsempfängers angerechnet wird.

Christoph Bielitz

Richter am Bayerischen Landessozialgericht

Dokumente