Nr. 2/19

Stellungnahme des Bundes Deutscher Sozialrichter (BDS) zum Referentenentwurf des Bundesministeriums für Gesundheit - Entwurf eines Gesetzes für eine faire Kas- senwahl in der gesetzlichen Krankenversicherung (Faire-Kassenwahl-Gesetz - GKV- FKG)

Der Bund Deutscher Sozialrichter nimmt zu Gesetzesvorhaben vor allem dann Stellung, wenn von ihnen unmittelbare Auswirkungen auf die sozialgerichtlichen Verfahren zu erwarten sind. Dies ist hier der Fall, weswegen es verwundert, dass der Verband nicht im Rahmen der allgemeinen Verbändebeteiligung beteiligt worden ist.

Innerhalb der gesetzten kurzen Frist ist lediglich eine kursorische Prüfung möglich, die sich auf Art. 1 des Entwurfs (Änderung des Sozialgerichtsgesetz) beschränkt. Danach sollen in § 51 Abs. 3 SGG nach dem Wort „betreffen“ die Wörter „sowie Streitigkeiten nach § 4a Absatz 7 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch“ eingefügt werden. § 4a Abs. 7 SGB V-E lautet: „Krankenkassen können von anderen Krankenkassen die Beseitigung und Unterlassung unzulässiger Maßnahmen verlangen, die geeignet sind, ihre Interessen im Wettbewerb zu beeinträchtigen. Für die Geltendmachung dieses Anspruchs gelten § 12 Absatz 1 bis 3 und die §§ 13 bis 15 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb entsprechend.“

Begründet wird diese Rechtswegezuweisung damit, dass die Zivilgerichte schon heute über Unterlassungsklagen bzw. einstweilige Rechtsschutzanträge gegen Krankenkassen jedenfalls dann entscheiden würden, wenn diese ausschließlich auf das UWG gestützt seien und nicht von anderen Krankenkassen, sondern von privatrechtlich organisierten Dritten (zum Beispiel Wettbewerbszentralen, Verbraucherschutzvereine) erhoben bzw. gestellt würden. Es entstehe die Gefahr, dass Wettbewerbsstreitigkeiten, die im Ergebnis die gleichen Themenkomplexe beträfen, vor unterschiedlichen Gerichtsbarkeiten ausgetragen würden und es möglicherweise zu Auslegungsdivergenzen käme, die erst im Wege der Befassung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes ausgeräumt werden könnten. Die Zuweisung an die Zivilgerichte sei sachgerecht, weil die Zivilgerichte über weitreichende praktische Erfahrungen mit der Anwendung der Vorschriften des UWG verfügten.

Dies vermag aus unserer Sicht nicht zu überzeugen.

Die Sozialgerichtsbarkeit ist umfassend für Rechtsstreitigkeiten im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zuständig. Darunter fallen im Grundsatz auch alle Streitigkeiten der Krankenkassen, die den seit langem im Gesetz geregelten Wettbewerb (§ 4 Abs. 3 SGB V) betreffen, der nunmehr ausgeweitet wird. Schon jetzt ordnet § 4 Abs. 3 S. 2 SGB V die entsprechende Anwendung des § 12 UWG an (vgl. BSG, Urteil vom 02.02.1984 - 8 RK 41/82; BSG Urteil vom 31.03.1998 - B 1 KR 9/95 R; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 10. 10.2014 - L 1 KR 361/12; Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 05.06.2018 – L 8 KR 204/18 B ER). Ebenfalls besteht die Zuständigkeit für Streitigkeiten zwischen Leistungserbringern und Krankenkassen sowie für Aufsichtsstreitigkeiten. Gerade letztere dürften oft identische Rechts- fragen wie § 4a Abs. 7 SGB V-E betreffen (siehe LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 27.09.2018 – L 1 KR 318/17 KL). Es handelt sich bei der Zuständigkeit für die GKV um eine Kernkompetenz der Sozialgerichtsbarkeit.

Es leuchtet nicht ein, warum Teile hiervon einer anderen Gerichtsbarkeit zugewiesen werden sollen um damit eine Rechtszersplitterung erst herbeizuführen, die ja gerade vermieden werden soll. Der Umstand, dass die ordentliche Gerichtsbarkeit gelegentlich auch über UWG- Streitigkeiten entscheidet, an denen gesetzliche Krankenkassen beteiligt sind, stellt keine ausreichende Begründung hierfür dar. Mit § 4a Abs. 7 SGB V-E wird eine neue Anspruchsgrundlage geschaffen. Der Kern der zu erwartenden Streitigkeiten ist öffentlich-rechtlich geprägt und materiell-rechtlich nach Kriterien des SGB V zu entscheiden. Zudem sind - anders als bei UWG-Verfahren vor den Zivilgerichten - auf beiden Seiten Krankenkassen beteiligt. Das spricht dafür, es bei der Zuweisung an die Sozialgerichtsbarkeit zu belassen.

Die allein verfahrensrechtliche Anbindung an das UWG begründet keine größere Sachnähe, die eine Zuweisung an die Zivilgerichtsbarkeit rechtfertigen würde. Dass die Sozialgerichtsbarkeit nicht in der Lage, die entsprechenden Vorschriften anzuwenden, behauptet niemand. Auch ist es auf diesem Gebiet in der Vergangenheit nicht zu grundlegenden Rechtsprechungs- differenzen zur Zivilgerichtsbarkeit gekommen.

Die seit Jahren starke Belastung der Sozialgerichtsbarkeit kann nicht dadurch behoben wer- den, dass Streitigkeiten nach § 4a Abs. 7 SGB V-E, deren Anzahl ohnehin sehr gering sein dürfte, einem anderen Gerichtszweig zugewiesen werden. Der Überlastung einer Gerichtsbarkeit sollte nicht durch den Entzug von Zuständigkeiten begegnet werden, sondern dadurch, dass ihr die notwendigen Personal- und Sachmittel zur Verfügung gestellt werden.

Dr. Steffen Roller
Direktor des Sozialgerichts

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