Nr. 3/19

Stellungnahme des Bundes Deutscher Sozialrichter (BDS) zum Referentenentwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales eines Siebten Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze(7. SGB IV-ÄndG)

 

3/19 BDS

18.10.2019

 

Die Stellungnahme beschränkt sich im Wesentlichen auf die beabsichtigten Änderungen im Sozialgerichtsgesetz (SGG). Hiervon gehen unmittelbare Auswirkungen auf die sozialgerichtlichen Verfahren aus.

 

1. Artikel 10

Nr. 1 (§ 12 Absatz 3 SGG): Die Neuregelung ermöglicht Vertragsärzten oder in Medizinischen Versorgungszentren angestellten Ärzten, Zahnärzten und Psychotherapeuten die Mitwirkung als ehrenamtliche Richter in den Kammern und Senaten für Angelegenheiten des Vertragsarztrechts.

Die Begründung, den Kreis der ehrenamtlichen Richterinnen und Richter insoweit zu erweitern, hierfür erscheint plausibel. Die Regelung wird daher begrüßt.

Nr. 2 (§ 12 Absatz 4 SGG): Mit der Neuregelung soll der Kreis der ehrenamtlichen Richter aus den Kreisen der Arbeitgeber grundsätzlich auf diejenigen erweitert werden, die die Voraussetzungen hierfür in einem Zeitraum von bis zu einem Jahr erfüllen, bevor sie berufen werden.

In der gerichtlichen Praxis zeigen sich nicht selten Schwierigkeiten, ausreichend ehrenamtliche Richter aus den Kreisen der Arbeitgeber zu finden. Dies dürfte damit zusammenhängen, dass Selbständige und leitende Angestellte im heutigen Arbeitsleben weniger Zeit finden und vielleicht auch weniger Interesse zeigen, sich als ehrenamtlicher Richterinnen und Richter zu engagieren. Daher nimmt die Zahl der ehrenamtlichen Richterinnen und Richter zu, die über die Vorschrift des § 16 Absatz 4 Nr. 3 SGG berufen werden. Handelt es sich dabei - wie oftmals - um Beamte mit Leitungsfunktion in Behörden, sogar um Volljuristen, stehen diese von ihrem beruflichen Erfahrungshorizont den Berufsrichtern näher als es der Funktion der ehrenamtlichen Richterinnen und Richter entsprechen sollte. Diese sollen bekanntlich als „sachkundige Beisitzer“ (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 3 Rn. 2) die Erfahrungen ihrer spezifischen Berufswelt in das sozialgerichtliche Verfahren einbringen. Wenn sich aber ihre Berufswelt von derjenigen eines Gerichts kaum unterscheidet, erweitern sie die Sachkunde des Gerichts nicht.

Die Neuregelung erscheint vor diesem Hintergrund als zu begrüßender, wenn auch nicht ausreichender Schritt. Insgesamt muss das Ehrenamt einer richterlichen Tätigkeit am Sozialgericht für Arbeitgeber attraktiver gemacht werden. Die Regelungen über die persönlichen Voraussetzungen sind jedoch hierfür nur bedingt geeignet.

Wir nehmen die Neureglungen im Recht der ehrenamtlichen Richterinnen und Richter zum Anlass, erneut auf eine Problematik der in § 45 Abs. 2 DRiG geregelten Vereidigung der ehrenamtlichen Richterinnen und Richter hinzuweisen.

Nach § 45 Abs. 2 DRiG sind ehrenamtliche Richter vor ihrer ersten Dienstleistung zu vereidigen. Die Vereidigung gilt für die Dauer des Amtes, bei erneuter Bestellung auch für die sich unmittelbar anschließende Amtszeit. Dies wird so verstanden, dass es einer Vereidigung nicht bedarf, wenn der ehrenamtliche Richter das erste Mal wiederbestellt wird, für eine zweite Wiederbestellung aber eine Vereidigung wieder notwendig wird (Schmidt-Räntsch, DRiG, 6. Aufl. 2009, § 45 Rn. 15).In der Sozialgerichtsbarkeit sind Wiederbestellungen von ehrenamtlichen Richterinnen und Richtern mit mehr als zwei Amtszeiten häufig. Der Sinn, warum der Eid nur für zwei Amtszeiten gelten soll, erschließt sich uns nicht. Wir haben Hinweise, dass die Praxis die Einschränkung auch teilweise nicht beachtet und bei einer Wiederbestellung generell auf eine erneute Vereidigung verzichtet. Damit ist das Gericht nicht ordnungsgemäß besetzt, denn die Vereidigung ist für ehrenamtliche Richter konstitutiv (BVerwG, Beschluss vom 29. August 2011 - 6 B 28/11; Schmidt-Räntsch, a.a.O., Rn. 13).Die Gesetzesbegründung der durch das Arbeitsgerichts-Änderungsgesetz vom 26. Juni 1990 (BGBl. I S. 1206) eingeführten Regelung lautet (BT-Drucks. 11/5465, S. 11): „Die vorgeschlagene Regelung stellt klar, daß es einer wiederholten Vereidigung nicht bedarf, wenn ein ehrenamtlicher Richter unmittelbar nach Ablauf seiner Amtszeit erneut bestellt wird.“ Denkbar ist, dass eine erneute Vereidigung für notwendig erachtet wurde, wenn zwischen den Amtszeiten zeitliche Lücken liegen. Ein zwingender Grund für die Beschränkung auch für nahtlose Neubestellungen lässt sich daraus aber nicht ableiten.

Wir schlagen daher vor, die Einschränkung zu streichen. Ein geänderter § 45 Abs. 2 Satz 2 DRiG könnte etwa wie folgt lauten: „Die Vereidigung gilt für die Dauer des Amtes, bei weiterer Bestellung auch für alle sich unmittelbar anschließenden Amtszeiten.“

Nrn. 4 und 6 (§ 75 Absatz 2a, § 141 Abs. 1 Nr. 2 SGG): Die Beiladung weiterer Sozialversicherungsträger in Verfahren gegen Entscheidungen nach § 7a Absatz 1 Satz 3, § 28h Absatz 2 und § 28p Absatz 1 Satz 5 SGB IV soll nur noch auf Antrag erfolgen.

Der Regelungsansatz ist im Grundsatz richtig. In der Tat werden die bisher notwendig beizuladenden Sozialversicherungsträger in der Praxis äußerst selten im gerichtlichen Verfahre aktiv. Beiladungen erscheinen daher entbehrlich, wenn die Rechtskrafterstreckung auf anderem Wege sichergestellt ist.

Jedoch sollte die Möglichkeit, in geeigneten Fällen von Amts wegen beizuladen, nicht verschlossen werden. Dies erscheint insbesondere hinsichtlich der als Einzugsstellen zuständigen Krankenkassen erforderlich, weil weder die prüfenden Rentenversicherungsträger noch die Clearingstelle der DRV Bund in der Lage sind, zu Fragen des Beitragseinzugs Erklärungen abzugeben. Gerade diese Fragen können für die am gerichtlichen Verfahren beteiligten Arbeitgeber wichtig sein. Eine Klarstellung, dass eine Beiladung von Amts wegen möglich bleibt, sollte zumindest in der Gesetzesbegründung erfolgen.

Weiterhin regen wir an, § 141 Absatz 1 Nr. 2 SGG-E dahingehend klarzustellen, dass die Rechtskrafterstreckung nur für die Fälle gilt, dass die Benachrichtigung auch tatsächlich erfolgt ist. Dies könnte etwa durch die Formulierung „… die benachrichtigten Versicherungsträger …“ erfolgen.

Nrn. 3, 5 (§ 29 Abs. 2 Nr. 1, § 137 SGG): Hierbei handelt es sich um eher technische Regelungen. Bedenken hiergegen bestehen aus unserer Sicht nicht.

 

2. Allgemein merken wir an, dass der Gesetzentwurf teilweise sehr kleinteilige Regelungen enthält, etwa diejenige zu Informationen an junge Menschen ohne Anschlussperspektive (§ 31a SGB III-E) oder zu Arbeitsmarktstatistiken (§ 281 SGB III-E). Damit wird die allgemeine Tendenz befördert, das Sozialgesetzbuch immer weiter mit Detailregelungen zu überfrachten und damit letztlich noch unübersichtlicher zu machen, als es bereits ist.

Der vorliegende Gesetzentwurf ist hierfür nur ein Beispiel unter vielen. Es handelt sich jeweils um Inhalte, die unmittelbar nur die Ministerialverwaltung oder den Innenbereich der Sozialversicherungsträger betreffen. Unseres Erachtens müssen diese nicht zwingend in der Form eines formellen Gesetzes oder einer Rechtsverordnung ergehen - erst recht nicht aus rechtsstaatlichen Gründen. Den regelmäßigen Bekundungen von staatlicher Seite, man wolle Gesetze „einfacher“ und „bürgernäher“ machen, dürfte ein solches Vorgehen nicht entsprechen.

 

 

Dr. Steffen Roller

Direktor des Sozialgerichts

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