Nr. 4/25

Stellungnahme des Bundes Deutscher Sozialrichter (BDS) zur diskutierten richterlichen Bestimmung einer Vergütungsobergrenze für Sachverständigengutachten (§ 8a JVEG, §§ 404a, 407a ZPO)

Das BMJV erwägt, § 8a Abs. 4 JVEG und §§ 404a, 407a ZPO dahingehend zu ändern, den Gerichten die Möglichkeit zu eröffnen, einen Betrag zu bestimmen, den die Vergütung des Sachverständigen nicht übersteigen soll (Vergütungsobergrenze). Zugleich soll den Sachverständigen eine Mitteilungsobliegenheit treffen, wenn das Gutachten diese Vergütungsobergrenze erheblich übersteigen wird. Unterlassen sie eine solche Mitteilung, so wird die Vergütung nur in Höhe der Vergütungsobergrenze gewährt.

Der BDS sieht das Vorhaben kritisch.

Anlass für den Änderungsvorschlag geben offenbar Unsicherheiten in familiengerichtlichen, insbesondere kindschaftsrechtlichen Verfahren. Betroffen sind von den zu ändernden Vorschriften aber auch andere Gerichtsbarkeiten, auch die Sozialgerichtsbarkeit (s. § 118 Abs. 1 Satz 1 SGG, § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 JVEG). Von ihr werden zahlreiche medizinische Sachverständigengutachten in Auftrag gegeben, teilweise mit hoher Sachverständigenvergütung.

Ein Mitteilungspflicht besteht bisher nach § 407a Abs. 4 Satz 2 2. Alt. ZPO für den Fall, dass von einem Beteiligten ein Kostenvorschuss eingeholt worden ist. Auslagenvorschüsse werden von den Sozialgerichten auch in den Verfahren nicht eingeholt, in denen Sachverständigenkosten ausnahmsweise als Teil der Gerichtskosten von den Beteiligten zu tragen sind (§ 197a SGG). Ein Sonderfall stellt das auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG eingeholte Gutachten ein, wo in den allermeisten Fällen ein Kostenvorschuss vom Antragsteller verlangt wird (§ 109 Abs. 1 Satz 2 SGG).

Eine Mitteilungspflicht besteht weiterhin nach § 407a Abs. 4 Satz 2 1. Alt. ZPO, wenn die voraussichtlichen Kosten außer Verhältnis zum Wert des Streitgegenstandes liegen. Diese Vorschrift findet in der Sozialgerichtsbarkeit in nach § 183 SGG gerichtskostenfreien Verfahren keine Anwendung (Bayerisches LSG, Beschluss vom 17. Dezember 2013 – L 15 SF 275/13, juris Rn. 96; Thüringer LSG, Beschluss vom 8. November 2018 – L 1 SF 145/18 B, juris Rn. 14 f; Thüringer LSG, Beschluss vom 28. Oktober 2024 – L 1 JVEG 195/24, juris Rn. 32). In Verfahren nach § 197a SGG wird die Vorschrift für anwendbar angesehen. Zwar begrenzen etwaige hohe Kosten des Sachverständigen die Amtsermittlungspflicht des Gerichts (§ 103 SGG) nicht (vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 8. November 1978 – 1 BvR 158/78, BVerfGE 50, 32, 36; Roller in: Berchtold, SGG, 6. Aufl. 2021, § 103 Rn. 9) Ein Hinweis des Sachverständigen gibt den Beteiligten aber Anlass, die Fortführung des gerichtlichen Verfahrens zu prüfen und eine gütliche Einigung herbeizuführen (LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 8. März 2021 – L 7 KO 7/18 (KR), juris Rn. 60; Thüringer LSG, Beschluss vom 8. November 2018, a.a.O.). Allerdings wird vertreten, die Vorschrift teleologisch zu reduzieren, wenn sowohl auf Kläger- als auch auf Beklagtenseite professionelle oder sachkundig vertretene Beteiligte agieren, die mit den Gepflogenheiten eines sozialgerichtlichen Verfahrens, namentlich der Beweisaufnahme durch Sachverständigengutachten, vertraut sind und insbesondere wissen, welche Kosten für ein medizinisches Sachverständigengutachten gewöhnlich anfallen (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 16. Mai 2022 – L 15 KR 221/22 B, juris Rn. 9). Letzteres dürfte insbesondere bei Verfahren zwischen Krankenhaus- und Versicherungsträger über die Abrechnung von Krankenhausvergütungen der Fall sein.

Dem angegebene Regelungszweck, die Beteiligten vor unverhältnismäßig hohen Kosten zu schützen, dürfte daher im sozialgerichtlichen Verfahren schon die bisherige Rechtslage genügen. Hinsichtlich des weiterhin angesprochenen Schutzes der Staatskasse vor hohen Kosten, ist zunächst zu beachten, dass die Höhe der Kosten für ein medizinisches Sachverständigengutachten weniger von einem bestimmten Sachverständigen und mehr von den Erfordernissen des konkreten Einzelfalls abhängt. Der Amtsermittlungsgrundsatz kann bestimmte Ermittlungen verlangen und dazu bedarf es u.U. eines besonders aufwändigen medizinischen Sachverständigengutachtens. Bei seltenen oder aufwändig zu prüfenden medizinischen Fragen werden sich höhere Kosten nicht vermeiden lassen. „Unverhältnismäßig hohe“ Kosten kann es daher nicht geben, denn typischerweise wird vor den Sozialgerichten nicht über vermögensrechtliche Ansprüche im eigentlichen Sinn gestritten.

Darüber hinaus sind die Gerichte schon jetzt in der Pflicht zum sparsamen Umgang mit Steuergeldern (vgl. nur LSG Niedersachsen-Bremen, a.a.O., juris Rn. 59). Sie werden daher absehbar hohe Kosten durch einen bestimmten Sachverständigen vermeiden, wenn mehrere Sachverständige zur Verfügung stehen und die Amtsaufklärungspflicht es nicht gebietet, sich gerade an einen bestimmten zu wenden. Üblicherweise werden Sachverständige beauftragt, die dem Gericht im Hinblick auf Überzeugungskraft der Gutachten und Einhaltung der gesetzten Fristen als verlässlich bekannt sind. Mit diesen ist oft eine Vergütungsvereinbarung (§ 14 JVEG) geschlossen worden. Nicht selten weisen Sachverständige auch vor Erstattung des Gutachtens auf zu erwartende erhöhte Kosten hin, etwa wenn sich nach Prüfung der Akten herausstellt, dass Zusatzuntersuchungen oder eine besonders aufwändige Prüfung des medizinisch-wissenschaftlichen Sachstands notwendig sind. Die letztlich in Rechnung gestellten Kosten sind bei der Festsetzung am Maßstab des JVEG zu messen.

Weiterhin dürfte es Richterinnen und Richtern vor Erstattung eines medizinischen Gutachtens kaum möglich sein, den notwendigen Aufwand des Sachverständigen und damit die Kosten einzuschätzen. Hierzu ist der notwendige Aufwand durch den Sachverständigen bei den von den Sozialgerichten eingeholten medizinischen Gutachten, anders als vielleicht bei Gutachten im Kindschaftsrecht, zu fallspezifisch. Wird die Vergütungsobergrenze zu hoch angesetzt, verfehlt dies die beabsichtigte Wirkung einer Kostenbegrenzung oder verkehrt diese sogar ins Gegenteil. Wird sie zu knapp bemessen, werden sich viele Sachverständige weigern, das Gutachten zu erstatten, wenn sie selbst der Meinung sind, dass das Gutachten höher vergütet werden muss. Die gelegentlich bei der Festsetzung der Sachverständigenvergütung notwendige Auseinandersetzung wäre in das eigentliche Gerichtsverfahren vorverlagert und würde dieses erschweren und verzögern.

Es könnte schließlich im Vorfeld der Gutachtenerstattung Auseinandersetzungen zwischen den Beteiligten über der Höhe der Vergütungsobergrenze geben. Die Gefahr besteht, dass Beteiligte auf diesem Wege versuchen werden, sachwidrig Einfluss auf die Person des Sachverständigen zu gewinnen, um ein aus ihrer Sicht vermeintlich zu erwartendes Gutachtensergebnis herbeizuführen oder zu verhindern.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass zumindest für das sozialgerichtliche Verfahren kein Regelungsbedarf besteht. Vielmehr wird die Gefahr einer Behinderung des Verfahrensablaufs gesehen. Daher sollte auf die Regelung über die Bestimmung einer Vergütungsobergrenze gänzlich verzichtet werden oder sie zumindest auf die Gerichtsbarkeiten beschränkt werden, in denen sich bisher Probleme gezeigt haben. Möglicherweise läge in einer bereichsspezifischen Regelung für das familiengerichtliche Verfahren eine Lösung.

Prof. Dr. Steffen Roller

Direktor des Sozialgerichts

Vorsitzender des BDS

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